Themenwoche Nachhaltige Wissenschaft/Hub 2: Komplexe Entscheidungsprozesse in Hochschulen systemisch verstehen und gestalten: Unterschied zwischen den Versionen
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Jede Transformation beginnt mit einer Veränderung der Selbsterzählung, denn die Außenwelt ist ein Abbild der Innenwelt der Menschen. Wenn sich die Außenwelt grundlegend verändern soll, muss sich die Innenwelt der Menschen transformieren. Jede Veränderung fängt beim Menschen, also bei uns selbst, an. Dafür müssen wir aber erst einmal andere Bilder sehen, um dann auch andere Bilder zu bekommen. Nur so kann sich das System neu erzählen. In einer komplexen Welt müssen wir uns auch komplexer in die Welt erzählen. Je komplexer die Außenwelt, desto höher muss die Eigenkomplexität des Menschen sein. Dazu braucht es auch eine hohe Ambiguitätstoleranz, die sich dadurch auszeichnet, Ambivalenzen aushalten und „ja, und“ anstatt „ja, aber“ zuzulassen. | Jede Transformation beginnt mit einer Veränderung der Selbsterzählung, denn die Außenwelt ist ein Abbild der Innenwelt der Menschen. Wenn sich die Außenwelt grundlegend verändern soll, muss sich die Innenwelt der Menschen transformieren. Jede Veränderung fängt beim Menschen, also bei uns selbst, an. Dafür müssen wir aber erst einmal andere Bilder sehen, um dann auch andere Bilder zu bekommen. Nur so kann sich das System neu erzählen. In einer komplexen Welt müssen wir uns auch komplexer in die Welt erzählen. Je komplexer die Außenwelt, desto höher muss die Eigenkomplexität des Menschen sein. Dazu braucht es auch eine hohe Ambiguitätstoleranz, die sich dadurch auszeichnet, Ambivalenzen aushalten und „ja, und“ anstatt „ja, aber“ zuzulassen. | ||
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Version vom 6. November 2023, 12:24 Uhr
Komplexe Entscheidungsprozesse in Hochschulen systemisch verstehen und gestalten
Hochschulen sind lose gekoppelte Einheiten, die sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Das Verfolgen einer gemeinsamen Richtung ist für solche lose gekoppelten Einheiten sehr schwierig, insbesondere wenn die Ziele in Spannungsfelder und Dilemmata führen. Prof. Dr. Georg Müller-Christ, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen, stellt die Logik von komplexen Entscheidungsprozessen vor und erarbeitet mit den Teilnehmenden unterschiedliche systemische Konstellationen, die Entscheidungen in den Gremien für mehr Nachhaltigkeit erleichtern.
Moderation: Prof. Dr. Georg Müller-Christ
Eine Erkundungshaltung einnehmen
Um Transformation zu ermöglichen, müssen komplexere bzw. systemische Bilder zugelassen werden. Wir können der Welt auf zwei unterschiedliche Weisen begegnen: Entweder suchen wir nach Selbstbestätigung („kenne ich“) oder wir nehmen eine Erkundungshaltung ein („es könnte auch ganz anders sein“). Selbstbestätigung ist einfach und spart Energie, während eine Erkundungshaltung wertvolle Irritationen zulässt. Irritationen führen zu einem Selbstwirksamkeitsverlust und sind deshalb unangenehm, sie ermöglichen jedoch erst zu lernen. Eine Erkundungshaltung bedeutet, nicht sofort zu bewerten, denn jedes Bewerten ist ein Abbruch von Erkenntnis. Anstatt voreilig zu bewerten, sollte wertfrei beobachtet werden – auch sich selbst kann man dabei beobachten: Wie sind meine Gedanken?
Ein kurzer Hinweis:: Das Wort „nachhaltig“ ist nicht das passende Adjektiv zum Wort "Nachhaltigkeit", da es auch im Sinne von „nachhaltend" bzw. „langanhaltend wirken“ verstanden werden kann. Gerade in einem Kontext, in dem Menschen nicht so vertraut mit dem Thema Nachhaltigkeit sind, sollte das Adjektiv "nachhaltig" deshalb lieber vermieden werden.
Angebot eines Nachhaltigkeitsverständnisses: Die Ressourcenperspektive
Hinter den SDGs steckt die Norm: „Wir wollen eine gerechte Welt!“ Das Problem an Normen ist jedoch, dass diese sich nicht endbegründen lassen, denn jeder Mensch kann jederzeit für sich beschließen, dass das nicht seine eigene Norm ist. Deshalb braucht Nachhaltigkeit eine Begründung über rationale Argumente: „Es ist nur klug, Ressourcen zu schonen, weil wir sonst unseren Wohlstand nicht halten können.“ Viele Organisationen verfolgen das „einfachste“ Nachhaltigkeitsverständnis der Öko-Effizienz – wenig Ressourceneinsatz bei großem Ressourcenoutput. Dieses Verständnis ist aber nichts anderes als betriebswirtschaftliche Rationalisierung und verspricht eine Win-Win-Situation der ökonomischen und ökologischen Dimension. In einer komplexeren Sichtweise führt Nachhaltigkeit jedoch zu Dilemmata, die Trade-Offs produzieren: Die ökonomische, soziale und ökologische Dimension lassen sich nicht gleichzeitig steigern. Ein ressourcenorientiertes Nachhaltigkeitsverständnis entspricht einem Ressourcenverbrauch, der gleich dem Ressourcennachschub ist (Substanzerhaltung). Diese Haushaltsperspektive betont die Regeneration von Ressourcen.[1] Für Unternehmen bedeutet echtes Nachhaltigkeitsengagement somit eine Effizienzreduzierung im Kerngeschäft.
Impuls: Es gibt noch weitere Nachhaltigkeitsverständnisse als die hier dargelegte Ressourcenperspektive. Unterschiedliche Nachhaltigkeitsverständnisse führen zu Problemen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen.
Gerangel der Entscheidungsprämissen an Hochschulen
Um das komplexe System Hochschule aus einer systemischen Perspektive zu beleuchten, sollen an dieser Stelle die unterschiedlichen Entscheidungsprämissen in Hochschulen verdeutlicht werden, die in einer Art Entscheidungsprämissengerangel um ihre Bedeutung kämpfen.
Es gibt zwei grundsätzliche Entscheidungsprämissen, die Zweck/Ziel getrieben sind und aus dem System Hochschule heraus kommen:
- Funktionalität (Es muss funktionieren!)
- Effizienz (Es muss sich rechnen!)
Die beiden Prämissen erzeugen jedoch Trade-Offs: Eins geht meist zu Kosten des anderen.
Dazu kommt die Bewältigung von Nebenwirkungen bzw. Restriktionen, die von außerhalb auf die Organisation einwirken:
- Legalität (Es muss gesetzeskonform sein!)
- Ethik (Es muss moralisch einwandfrei sein!)
- Nachhaltigkeit (Es muss die Substanz erhalten werden!).
Um das Gerangel der Entscheidungsprämissen in Hochschulen zu visualisieren, wurde mit den Teilnehmenden ein systemisches Standbild erzeugt. Prof. Dr. Georg Müller-Christ bot seine mentale Landkarte des Hochschulsystems an:
- Legalität, Funktionalität und Effizienz sind am längsten da und spielen deshalb bei Entscheidungen immer eine große Rolle.
- Dann kam die Ethik dazu, die aber eher im Hintergrund bleibt: Themen wie Diversity etc. müssen immer wieder „laut schreien“, sonst verlieren sie an Bedeutung im System.
- Nachhaltigkeit kam als letztes Thema dazu und wird nicht großartig bedacht. Wird die Nachhaltigkeit näher an die Hochschulleitung gerückt, so geht das zu Lasten von Zeit, Geld und Aufmerksamkeit der anderen Elemente.
- Impuls: Was passiert, wenn dann (Wettbewerbs-)Druck (von außen) dazu kommt?
Komplexitätsbewältigung: Ein System muss über Trade-Offs reden können!
Komplexität kann nur bewältigt werden, wenn (an)erkannt wird, dass die Entscheidungsprämissen im System vielfältig und unvereinbar sind. Jede Neusortierung von Entscheidungsprozessen erzeugt einen Preis (sog. Trade-Off), der gezahlt werden muss. Jede Entscheidung für eine Alternative ist eine Entscheidung gegen die anderen Alternativen und für bestimmte Nebenwirkungen. Das erzeugt Widerstand und einen Preis, der gezahlt werden muss. Auch eine Nicht-Entscheidung ist eine Entscheidung und erzeugt Trade-Offs. Und über genau diesen Preis bzw. die Tade-Offs muss ein System reden können! Meist ist es so, dass die „Schwächsten“ die Nebenwirkungen abbekommen. Stattdessen braucht es innerhalb des Systems Aushandlungsprozesse, in denen Menschen zustimmen, gerade mal die Nebenwirkungen abzubekommen bzw. zu verzichten: „Für die Nachhaltigkeit verzichten wir heute auf…, aber wir wollen dafür…“.
Das Potenzial von Erkundungsaufstellungen für Transformationen
Jede Transformation beginnt mit einer Veränderung der Selbsterzählung, denn die Außenwelt ist ein Abbild der Innenwelt der Menschen. Wenn sich die Außenwelt grundlegend verändern soll, muss sich die Innenwelt der Menschen transformieren. Jede Veränderung fängt beim Menschen, also bei uns selbst, an. Dafür müssen wir aber erst einmal andere Bilder sehen, um dann auch andere Bilder zu bekommen. Nur so kann sich das System neu erzählen. In einer komplexen Welt müssen wir uns auch komplexer in die Welt erzählen. Je komplexer die Außenwelt, desto höher muss die Eigenkomplexität des Menschen sein. Dazu braucht es auch eine hohe Ambiguitätstoleranz, die sich dadurch auszeichnet, Ambivalenzen aushalten und „ja, und“ anstatt „ja, aber“ zuzulassen.
Literaturverzeichnis
- ↑ Müller-Christ, G. (2020). Nachhaltiges Management: Über den Umgang mit Ressourcenorientierung und widersprüchlichen Managementrationalitäten - Handbuch für Studium und Praxis, 3. Aufl., Nomos, Baden-Baden. doi.org/10.5771/9783845291680