Gestaltungspotenziale für Nachhaltigkeit in der Hochschulforschung
Vier Gestaltungsfelder innerhalb der nachhaltigkeitsorientierten Hochschulforschung Nachhaltigkeitsorientierte Forschung soll in diesem Leitfaden nicht als eigene Disziplin verstanden werden, sondern als Querschnittsthema und Forschungsfeld, welches sowohl in der disziplinären, als auch in der inter- und transdisziplinären Forschung adressiert wird.
Um bisherige Lernprozesse und Erfahrungen sowie künftige Entwicklungspotentiale strukturiert aufzeigen zu können, haben wir anhand eines narrativen Literaturreviews, teaminterner Diskussion sowie teilstrukturierter Interviews vier grundsätzliche Gestaltungsfelder innerhalb nachhaltigkeitsorientierter Hochschulforschung ermittelt:
(ABBILDUNG) Forschungssetting beinhaltet die Rahmenbedingungen, in die die Forschung an der jeweiligen Hochschule eingebettet ist.
(ABBILDUNG) Forschungsprozess umfasst den gesamten Verlauf nachhaltigkeitsorientierter Forschung, von der Entwicklung der Forschungsidee bis hin zu den erzielten wissenschaftlichen und ggf. außerwissenschaftlichen Ergebnissen und Wirkungen.
(ABBILDUNG) Im Gestaltungsfeld der Akademischen Qualifizierung werden Promotions- und Habilitations- sowie generelle Weiterbildungsmöglichkeiten im Feld der nachhaltigkeitsorientierten Hochschulforschung betrachtet.
(ABBILDUNG) Unter Vernetzung wird der hochschulinterne und hochschulübergreifende nachhaltigkeitsbezogene Kontakt und Austausch zwischen einzelnen Forschenden, zwischen Forschungsinstitutionen sowie zwischen Forschung und Praxis zusammengefasst.
Die vier Gestaltungsfelder lassen sich nicht losgelöst voneinander betrachten. Stattdessen hängen sie in der Forschungspraxis eng zusammen. Dies wird an den folgenden Instrumenten und Strategien sowie den entsprechenden Praxisbeispielen deutlich, die wir anhand der Online-Befragung sowie der Leitfadeninterviews ermittelt haben. Sie setzen häufig nicht nur an einem, sondern in zwei oder mehr Gestaltungsfeldern an, um die nachhaltigkeitsorientierte Forschung an der eigenen Hochschule zu befördern. Nicht selten ergeben sich daraus positive Ausstrahlungseffekte über die Forschung hinaus auf weitere hochschulische Handlungsfelder, wie z. B. Governance, Lehre oder Transfer.
In den folgenden vier Kapiteln werden die Gestaltungsfelder näher beschrieben. Die Kapitel haben einen einheitlichen Aufbau:
- Kurzbeschreibung des jeweiligen Gestaltungsfelds
- Instrumente und Strategien, um nachhaltigkeitsorientierte Forschung an der eigenen Hochschule zu fördern
- Konkrete Praxisbeispiele aus deutschen Hochschulen, anhand derer ausgewählte Instrumente und Strategien exemplarisch illustriert werden
- Fact Boxes zu Fördergeber*innen, Konferenzen, Journals, Netzwerken und Newslettern für die nachhaltigkeitsorientierte Forschungspraxis an der eigenen Hochschule
1. Forschungssetting
Kurzbeschreibung
Das Gestaltungsfeld Forschungssetting beschreibt die strukturellen Rahmenbedingungen, in die die nachhaltigkeitsorientierte Forschung an der jeweiligen Hochschule und darüber hinaus eingebettet ist. Unter diesen Rahmenbedingungen sind die Ressourcenausstattung inklusive Personal und Material, Förderkriterien und Fördermittel wie auch die institutionellen Strukturen, die disziplinäre bzw. thematische Ausrichtung und das jeweilige Leitbild an der einzelnen Hochschule zusammengefasst.
Auch die je Bundesland spezifische Bildungspolitik und Gesetzgebung stellen wesentliche Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung nachhaltigkeitsorientierter Forschung an der einzelnen Hochschule dar.
Instrumente und Strategien
Monitoring
Das Spektrum an nachhaltigkeitsorientierter Forschung an der eigenen Hochschule wird regelmäßig analysiert und strukturiert dargestellt. Die Ergebnisse werden innerhalb der Hochschule kommuniziert, um sowohl bisherige Forschungsschwerpunkte als auch künftige Forschungsbedarfe offen zu legen. Forschenden wird damit sowohl auf Ebene ihrer individuellen wissenschaftlichen Tätigkeit, als auch auf Ebene von Arbeitsgruppen, Forschungsinstituten oder Fachbereichen ermöglicht, die eigene nachhaltigkeitsorientierte Arbeit innerhalb der Hochschule sichtbar und bekannt zu machen – eine wesentliche Grundlage für wechselseitigen Austausch und Forschungskooperationen. Zugleich kann durch das Monitoring ein Profil der hochschulinternen nachhaltigkeitsorientierten Forschung erstellt werden, in dem sich Forschende gezielt verorten können. Aus forschungsstrategischer Perspektive stellt das Profil ein hilfreiches Instrument dar, um die Ausrichtung der nachhaltigkeitsorientierten Forschung an der eigenen Hochschule zu reflektieren und gegebenenfalls strategisch anzupassen.
--> Praxisbeispiel 1 (LINK)
Instutionalisierung
Nachhaltigkeitsorientierte Forschung wird gezielt in vorhandene institutionelle Strukturen integriert bzw. es werden institutionelle Strukturen an der jeweiligen Hochschule geschaffen und eingerichtet, um nachhaltigkeitsorientierte Forschung verbindlich zu verorten und zu verankern. Diese Strukturen können – abgestimmt auf bereits vorhandene Strukturen, etablierte Abläufe und Größe der jeweiligen Hochschule – zentral oder dezentral angelegt werden. Ziel ist es, klar definierte Ansprechpartner*innen und Verantwortlichkeiten zu schaffen, sowie entsprechende räumliche, personelle und finanzielle Ressourcen bereitzustellen. Auf Hochschulebene können beispielsweise die Einrichtung nachhaltigkeitsorientierter Professuren inklusive gezielter Berufungsverfahren ein konkreter Ansatz sein, um nachhaltigkeitsorientierte Forschung an der eigenen Hochschule strukturell zu verankern. Ein weiterer Ansatz ist es, Nachhaltigkeit in das Leitbild oder den Kodex der jeweiligen Hochschule aufzunehmen und explizit auch die Verknüpfung zur Forschung herzustellen, sowie das Leitbild angesichts sozial-ökologischer Veränderungsprozesse regelmäßig auf seine Aktualität hin zu überprüfen. Auf Ebene der Fakultäten, Fachbereiche sowie fachbereichübergreifend können explizit nachhaltigkeitsorientierte Forschungsinstitute, Forschungszentren, Labs etc. eingerichtet werden.
--> Praxisbeispiel 2 (LINK)
Systematische organisatorische Unterstützung
Hochschuleigene Forschungsreferate weisen regelmäßig auf nachhaltigkeitsorientierte Ausschreibungen und Programme unterschiedlicher Förderinstitutionen hin und unterstützen die Forschenden gezielt bei der Konzipierung, Beantragung und Abwicklung nachhaltigkeitsorientierter Forschungsprojekte. Dies kann beispielsweise in einer systematischen Sammlung gezielten Bekanntmachung von Drittmittelgeber*innen inklusive relevanter Ausschreibungen bestehen, oder im Feedback zu Struktur und Aufbau von Forschungsanträgen, in der Beratung bei der finanziellen Planung und Support bei der Abrechnung, etc. Der Aufbau entsprechender Unterstützungsangebote erfordert ein gezieltes ‘capacity building’ bei den Forschungsreferaten und eine transparente Organisationsstruktur und Kommunikation.
--> Fact Box 1 (LINK)
Weiterführende Literatur
Beringer, A. (2007) The Lüneburg Sustainable University Project in international comparison: An assessment against North American peers. International Journal of Sustainability in Higher Education, 8(4), 446–461.
Krainer, L., & Winiwarter, V. (2016) Die Universität als Ak- teurin der transformativen Wissenschaft: Konsequenzen für die Messung der Qualität transdisziplinärer Forschung. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society, 25(2), 110–116.
Meadows, D. H. (1999) Leverage Points: Places to Intervene in a System. The Sustainability Institute, 1-19.
Yarime, M., Trencher, G., Mino, T., Scholz, R. W., et al. (2012) Establishing sustainability science in higher education institutions: towards an integration of academic development, institutionalization, and stakeholder collaborations. Sustainability Science 7(Suppl 1), 101–113.
2. Forschungsprozess
Kurzbeschreibung
Das Gestaltungsfeld Forschungsprozess umfasst die Konzipierung von Forschungsprojekten einschließlich der Auswahl des Untersuchungsgegenstandes, des Forschungsmodus (disziplinär, multi-, inter- oder trans- disziplinär) und der Projektbeteiligten (aus Wissenschaft oder Praxis). Es umfasst auch die Durchführung, d. h. die Ausgestaltung und den Verlauf des Forschungsprozesses inklusive der gewonnenen wissenschaftlichen und/oder praxisrelevanten Ergebnisse und erzielten Wirkungen.
Instrumente und Strategien
In der Forschung konkrete Nachhaltigkeitsprobleme adressieren.
Nachhaltigkeitsorientierung in der Hochschulforschung entsteht aus einem direkten Bezug der Forschung zu realen sozial-ökologischen Problemen. Auf Basis aktueller Umweltereignisse, gesellschaftlicher Diskurse und politischer Entscheidungen einerseits sowie wissenschaftlicher Fachdiskurse, Impulsen aus Lehre und eigener Forschung andererseits, können Forschende nachhaltigkeitsorientierte Forschungsbedarfe identifizieren. Darüber hinaus können auch das bewusste Erproben und kritische Reflektieren nachhaltiger Verhaltensweisen und umweltfreundlicher Technologien – im Sinne einer gelebten Nachhaltigkeit – auf dem Campus der jeweiligen Hochschule oder durch die*den Forschende*n selbst, das Bewusstsein für nachhaltigkeitsorientierte Forschungsbedarfe schärfen.
--> Praxisbeispiel 4 (LINK)
Synergiepotentiale nutzen: Disziplinübergreifend forschen.
Nachhaltigkeit eröffnet ein problemorientiertes Forschungsfeld, das nicht an disziplinären Fachgrenzen Halt macht. Als Querschnittsthema kann Nachhaltigkeit als Ausgangspunkt genommen werden, um disziplinübergreifenden Austausch anzuregen, beispielsweise in Form regelmäßiger hochschulinterner Kolloquien, interdisziplinärer Forschungskooperationen in Verbundprojekten oder fachübergreifenden nachhaltigkeitsorientierten Hochschulnetzwerken. In interdisziplinären Forschungssettings können disziplinspezifische Begriffsverständnisse und Perspektiven offengelegt und diskutiert werden. In der Folge lassen sich damit Gemeinsamkeiten, Unterschiede aber auch Synergiepotentiale zwischen Wissensbeständen ermitteln und disziplinspezifische Wissensstände zu einem umfassenderen gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnis zusammenführen. So lässt sich der eigene disziplinäre Wissenshorizont durch wechselseitiges Lernen erweitern und Nachhaltigkeitsfragen können durch die komplementäre Expertise verschiedener Disziplinen ganzheitlich beforscht werden.
--> Vernetzung (LINK innerhalb dieser Seite)
Praxis mit einbeziehen
Der Austausch oder die aktive Zusammenarbeit mit Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und/ oder Zivilgesellschaft kann ebenfalls zu einer Nachhaltigkeitsorientierung in der Forschung beitragen. Im Kontakt mit gesellschaftlichen Akteuren können Nachhaltigkeitsprobleme identifiziert, konkretisiert und lösungsorientiert bearbeitet werden. Forschende und Praxisakteur*innen bringen ihr jeweiliges Wissen und ihre Perspektiven zusammen, um gemeinsam das Grundlagenwissen über bestehende Nachhaltigkeitsprobleme auszubauen, Visionen oder konkrete Lösungsansätze zu entwickeln und gegebenenfalls auch praktisch zu erproben. Praxisakteur*innen werden auf diese Weise an Entscheidungsprozessen und Lösungsentwicklungen für von ihnen real erlebte Nachhaltigkeitsprobleme beteiligt. In solchen transdisziplinären Forschungssettings können auch Studierende – als Akteur*innen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis – miteinbezogen werden. Auf diese Weise werden drei Handlungsfelder von Hochschulen – Forschung, Lehre und Transfer – integriert.
--> Praxisbeispiel 3 (LINK)
Verbreitung der Forschungsergebnisse
Praxisrelevante Forschungsergebnisse zu realen Nachhaltigkeitsproblemen sollten gezielt in der entsprechenden Wissenschaftscommunity und/oder der breiten Öffentlichkeit kommuniziert werden, um sowohl zum wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsdiskurs als auch zur öffentlichen Debatte und letztlich einer Nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Innerhalb des Felds nachhaltigkeitsorientierter Forschung steht eine umfassende Zahl wissenschaftlicher Zeitschriften zur Verfügung, in denen disziplinäre, inter- und transdisziplinäre Ergebnisse mit explizitem Nachhaltigkeitsbezug veröffentlicht werden können.
--> Fact Box 2 (LINK)
Bei der Verbreitung der Ergebnisse in die breite Öffentlichkeit gilt es u. a. auf Folgendes zu achten: an- gemessene Sprache, zielgruppengeeignete Darstellung, gezielte Ansprache relevanter Multiplikator*innen, Netzwerke und Schlüsselakteur*innen, strategische Verteilung der Ergebnisse über geeignete Kanäle und gegebenenfalls in verschiedenen Sprachen. Damit wird eine wesentliche Voraussetzung dafür geschaffen, dass Forschungsergebnisse in der breiten Gesellschaft beziehungsweise bei relevanten Praxisakteur*innen ankommen, bewusst wahrgenommen werden und konkrete praktische Anwendung finden. Auf diese Weise tritt die Hochschule als Ort nachhaltigkeitsbezogenen Wissens öffentlich in Erscheinung.