HOCH-N:Nachhaltigkeitsverständnis

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Version vom 16. Januar 2020

Präambel

Gesamtziel des Vorhabens Nachhaltigkeit an Hochschulen (HOCHN) ist die Förderung nachhaltiger Entwicklung an Hochschulen in Deutschland sowie die Konzeption von hierfür geeigneten Maßnahmen und Leitfäden. Eine wichtige Basis dafür ist die Entwicklung eines gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses – wir verwenden im Folgenden die Begriffe Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung synonym – unter Berücksichtig seiner transformativen Aspekte für eine zukunftsfähige Hochschullandschaft in Deutschland. HOCHN wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Unter www.hoch-n.org finden sich nähere Informationen zum Projekt.

Zum Entstehungsprozess

Das vorliegende Nachhaltigkeitsverständnis des Verbundprojekts HOCHN entstand in einem partizipatorischen und konsultativen Prozess der elf Verbundhochschulen über die Projektdauer November 2016 bis Oktober 2020. Der nachfolgende Text basiert auf den Zielformulierungen bzw. den Nachhaltigkeitsverständnissen der einzelnen Partner*innen des Verbundprojekts (Freie Universität Berlin, Universität Bremen, Technische Universität Dresden, Universität Duisburg-Essen, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Universität Hamburg, Leuphana Universität Lüneburg, Ludwig- Maximilians-Universität München, Eberhard Karls Universität Tübingen, Universität Vechta und Hochschule Zittau/Görlitz) sowie auf der Auswertung der im Literaturverzeichnis ersichtlichen Texte. Das Nachhaltigkeitsverständnis ist auf konzeptionelle Kohärenz angelegt und arbeitet insbesondere die normativen Implikationen von Nachhaltigkeit heraus. Die Erarbeitung des Nachhaltigkeitsverständnisses des HOCHN-Verbunds fand unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Markus Vogt (LMU München) statt.

Intention des Nachhaltigkeitsverständnisses im Kontext Hochschule

Viele Akteur*innen an deutschen Hochschulen befassen sich in Wissenschaft, Lehre und Betriebspraxis mit dem Themenfeld Nachhaltigkeit. Bislang besteht jedoch kein hinreichender Konsens darüber, wie der aus gesellschaftlicher Verantwortung begründete Anspruch von Nachhaltigkeit im Kontext von Hochschulen verstanden, ausgestaltet und umgesetzt werden soll. Dies zeigt sich beispielsweise in der aktuellen Debatte um die Verhältnisbestimmung von Freiheit und nachhaltigkeitsbezogener Verantwortung der Wissenschaft. Auch aus diesem Grund hat es sich der Verbund HOCHN zum Ziel gesetzt, ein gemeinsames, hochschulspezifisches Nachhaltigkeitsverständnis zu entwickeln, das eine gesellschaftliche Transformation unterstützen soll. Das Nachhaltigkeitsverständnis basiert dabei auf vielfältigen bereits in (internationalen) Beschlüssen verankerten Grundverständnissen von Nachhaltigkeit sowie auf wissenschaftlicher Literatur zum Nachhaltigkeitsprinzip.

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich nicht um einen fixierten Standard, sondern um einen Orientierungsrahmen zur gesamtinstitutionellen Integration und Umsetzung von Nachhaltigkeit als ethisches Prinzip an Hochschulen in Deutschland (insbesondere in den Handlungsfeldern Forschung, Lehre, Betrieb, Governance und Transfer). Dieser muss kontinuierlich an die sich ändernden Erkenntnisse und Rahmenbedingungen angepasst werden. Das Nachhaltigkeitsverständnis innerhalb des HOCHN-Verbunds schließt keineswegs aus, dass einzelne Hochschulen mit ihren unterschiedlichen Zugängen, Schwerpunktsetzungen und Praktiken innerhalb dieses Rahmens je eigene Akzente setzen. Vielmehr betrachten wir die Vielfalt unterschiedlicher Nachhaltigkeitsverständnisse als Gewinn, da Nachhaltigkeit idealerweise auf die jeweiligen Kontexte und Rahmenbedingungen der Hochschulen und auf ihre AkteurInnen Bezug nehmen sollte. Gerade weil es unterschiedliche Akzente gibt, erfüllt eine begrifflich-konzeptionelle Klärung jedoch die wichtige Funktion, Interpretationsspielräume zu klären, offene Fragen für weitere Diskussion und Forschung zu benennen sowie Gemeinsamkeiten trotz kontextuell unterschiedlicher Umsetzungen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung dürfen keine abstrakten Begrifflichkeiten und Konzepte ohne klaren Handlungsbezug bleiben, die sich nach beliebigen Interessenlagen instrumentalisieren lassen. Daher soll das vorliegende Nachhaltigkeitsverständnis Gesprächs- und Kooperationsprozesse stärken. Darüber hinaus liefert es die Basis für eine langfristige und substantielle Umsetzung von Maßnahmen an Hochschulen, die für eine große gesellschaftliche Transformation [1] zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele unerlässlich sind.

Dabei können mehrere Ebenen unterschieden werden, die für die Entwicklung eines Nachhaltigkeitsverständnisses für Hochschulen von Bedeutung sind (Systeme, Gruppen und Individuen):

a) Makroebene: Diese umfasst den übergeordneten gesellschaftlichen Rahmen und funktionale gesellschaftliche Teilsysteme (politische, wirtschaftliche, (sozio-)kulturelle, technologische, ökologische, rechtliche Einflussfaktoren) mit den dazugehörigen Diskursen. Kernfrage: Wie wird Nachhaltigkeit in der Gesellschaft verhandelt?

b) Mesoebene: Sie nimmt die Hochschule als Organisation sowie deren Einheiten (beispielsweise Fakultäten, Institute, Gremien, Abteilungen, Kooperationskonsortien, Teams etc.) in den Blick. Kernfrage: Welches auf die jeweilige Hochschule ausdifferenzierte Nachhaltigkeitsverständnis findet für die Hochschule im Sinne eines Whole Institution Approach bzw. für deren Organisationsteile Anwendung?

c) Mikroebene: Diese bezieht sich auf Einzelpersonen (die Hochschulangehörigen und Individuen aus den Anspruchsgruppen) mit ihrem je individuellen Nachhaltigkeitsverständnis. Es ist von persönlichen, individuellen Annahmen und Interpretationen, je nach Vorwissen, Statusgruppe, Werten und Einstellungen, sozialer Einbettung etc. geprägt. Um eine nachhaltige Entwicklung langfristig institutionalisieren und zugleich Individuen zu nachhaltigkeitsorientiertem Handeln befähigen zu können, sind auch diese individuellen Verständnisse von Bedeutung. Es gilt, sie in gegenseitiger Durchdringung mit den jeweiligen Meso- und Makroebenen rückzukoppeln. Kernfrage: Was bedeutet nachhaltige Entwicklung für mein Handeln, auch im Austausch mit und in Abhängigkeit von anderen?

Dabei geht es um die Reflexion des eigenen Handelns auf allen Ebenen mit Bezug zum ethischen, konzeptionellen und transformativen Anspruch der Nachhaltigkeit. Die Freiheit von Forschung und Lehre realisiert sich nur dann in verantwortlicher Weise, wenn die Hochschulen selber ihre Potenziale für eine Große Transformation der Gesellschaft reflektieren und ihre Erkenntnisse gesamtinstitutionell entsprechend umsetzen. Der Prozess (Kommunikation und strategische Steuerung, um aufeinander abgestimmtes Handeln zu ermöglichen) und das Ergebnis (Schaffung von Strukturen und konkrete Umsetzung auf der Basis eines gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses) sind für alle Ebenen gleichermaßen relevant. Dabei muss auf eine möglichst hohe Kohärenz Wert gelegt werden, um Missverständnisse abzuwenden und sich gegenseitig aufhebende Effekte von Nachhaltigkeitsstrategien zu vermeiden.

Der nachfolgende Text dient einerseits der Verständigung innerhalb des Verbundes HOCHN, andererseits als Instrument der Kommunikation nach außen, um Unterstützung, Kooperation und weitere AkteurInnen für den offenen, kreativen, selbstreflexiven und emergenten Prozess nachhaltiger Entwicklung in und durch Hochschulen zu gewinnen.

Zielgruppe

Abbildung 1: Übersicht der unterschiedlichen Ebenen von Anspruchsgruppen der Hochschulen in Deutschland

Der vorliegende Text richtet sich in erster Linie an Hochschulangehörige, insbesondere an diejenigen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen und Veränderungsprozesse gestalten wollen. Zu den internen Anspruchsgruppen gehören demnach die Studierenden, die Hochschulleitungen, Wissenschaftler*innen und Lehrende, Verwaltungsmitarbeitende und Nachhaltigkeitsbeauftragte. Hervorgehoben sind dabei die Change Agents, die sowohl hochschulintern als auch -extern Umstrukturierungsprozesse vorantreiben wollen. Change Agents finden sich dabei hierarchisch auf allen Ebenen. Dies wird in der Praxis dadurch deutlich, dass Veränderungsprozesse hin zu einer nachhaltigen Entwicklung von Hochschulen sowohl top-down als auch bottom-up initiiert erfolgen können, aber zur erfolgreichen Umsetzung die jeweils andere Ebene benötigen. Als hochschulexterne Anspruchsgruppen sind, neben den Change Agents, z.B. Vertreter*innen von zuständigen Landes- und Bundesministerien, Politik, Zivilgesellschaft, Unternehmen, der Hochschulrektorenkonferenz, der Kultusministerkonferenz und der deutschen UNESCO-Kommission zu nennen. Verbindende Elemente zwischen den internen und externen Anspruchsgruppen, die die Wechselwirkungen zwischen den Akteur*innen symbolisieren sollen, sind die Kommunikation, der Austausch und das voneinander Lernen (vgl. Abbildung 1).

Grundverständnis von Nachhaltigkeit und Ethik im Kontext von Hochschulen

Nachhaltigkeit ist als normatives Prinzip der Maßstab einer globalen und intergenerationellen Gerechtigkeit, die vom gegenwärtigen Wandel des Erdsystems stark herausgefordert wird. Ethisch-politisch ist nachhaltige Entwicklung kein von außen vorgegebenes und festgelegtes Ziel, sondern ein offener Suchprozess mit vielfältigen Zielkomponenten, der sich von daher plural und kulturvariabel gestaltet. Ihr Anliegen ist es, die langfristige Verantwortung, die ökologische Tragfähigkeit, die soziale Gerechtigkeit und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu sichern. Hierzu zielt sie auf die Stärkung kultureller Kompetenzen der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens ab. Mit ihrer systemisch integrierten Umsetzung wird der Anspruch einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation verbunden. Kern ist die Transformation des Verhältnisses des Menschen zur Natur. Die Aufgabe der Hochschulen besteht darin, sich theoretisch-konzeptionell, methodisch und reflexiv mit den Prozessen und Bedingungen der gesellschaftlichen Transformation auseinanderzusetzen. Gleichzeitig geht es auch darum, wie die ethische Dimension in der Wissenschaft (in den Handlungsfeldern Forschung, Lehre und Betrieb) berücksichtigt und umgesetzt werden kann.

Aufgeklärte Wissenschaft bedarf einer methodisch-kritischen Reflexion zum Stellenwert normativer Perspektiven. Deshalb analysiert Ethik die vielfältigen Gründe, Ziele, Motivationen und Widerstände guten und gerechten Handelns. Dabei erschöpft sie sich nicht darin, rezeptartig fertige Lösungen vorzugeben. Vielmehr will sie zunächst zum Nachdenken anregen und dadurch zur Freiheit befähigen. Die Freiheit der Wissenschaft ist von daher stets als Auftrag zur eigenverantwortlichen Reflexion ihrer Ziele im Dienst einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu interpretieren.

Der Bedarf an ethischer Reflexion und Orientierung ergibt sich vor allem in Umbruchsituationen. Eine solche liegt heute angesichts des tiefgreifenden Wertewandels sowie der globalen, nationalen und regionalen Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung (wie z.B. Klimawandel) vor. Von daher versteht es das Nachhaltigkeitsprinzip sowohl als ökosoziale und ökonomische Herausforderung wie auch als Kulturaufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen für alle Menschen weltweit einschließlich der nachfolgenden Generationen zu erhalten (vgl. Brundtland-Kommission; Art. 20a GG; SDGs) und die Natur in ihrem Eigenwert mit ihrer biologischen Vielfalt zu achten und zu schützen (vgl. Bundesnaturschutzgesetz §1).

Hochschulen als zentrale Akteurinnen des gesellschaftlichen Diskurses widmen sich dieser Thematik an zentraler Stelle. In diesem Kontext, und in Anlehnung an die gemeinsame Erklärung der HRK/DUK „Hochschulen für nachhaltige Entwicklung“ [2] sowie die Empfehlung der HRK (2018) „Für eine Kultur der Nachhaltigkeit an Hochschulen“ [3] fassen die AkteurInnen des Verbundprojekts HOCHN Nachhaltigkeit als profilstiftende und verbindende Leitidee auf. Mit diesem gemeinsamen Ziel können die Hochschulen ihren je eigenen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Gestaltung der Gesellschaft und zum verantwortungsvollen Umgang mit den Gemeingütern des Planeten Erde leisten.

Den Hochschulen kommt aufgrund ihrer ethischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung eine undelegierbare Reflexionsaufgabe und Impulsfunktion für eine solche gesellschaftliche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit zu. Hochschulen können dabei empirisches und theoretisches Wissen, Methodenkompetenz und Reflexionsfähigkeit als besondere Stärken einbringen. Dem normativen Gehalt von Nachhaltigkeit gerecht zu werden bedeutet zum einen, methodisch über Problemstellungen in den Gesellschaften nachzudenken und sich relevanten Fragen hinsichtlich des Verhältnisses von Mensch und Natur zu stellen. Zum anderen ist in sektorübergreifenden Zusammenhängen zu denken und konkret zu handeln. Es geht darum, wie tragfähige Lösungen zum Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit global, national und regional gefunden, umgesetzt und dauerhaft institutionell implementiert werden können. Dabei ist es für die Ethik konstitutiv, auch Hemmnisse auf dem Weg zur Nachhaltigkeit systemisch in den Blick zu nehmen. Auf dieser Weise kann sie nicht nur Zielwissen generieren, sondern auch Transformationswissen vermitteln.

Die Akteur*innen des Verbundprojekts sind bestrebt, Nachhaltigkeit in den Handlungsfeldern Forschung, Lehre, Betrieb, Governance sowie Transfer in ihren eigenen Hochschulen zu verankern. Damit leisten sie einen Beitrag zur praktischen Umsetzung der oben genannten Ziele, regen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess an und versuchen eine glaubwürdige Vorbildfunktion einzunehmen. Nachhaltige Hochschulentwicklung wird dabei als offener, reflexiver Prozess verstanden, in dem sich die Freiheit der Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Verantwortung wechselseitig bedingen.

Die Akteur*innen des Verbundprojekts verpflichten sich, das Verständnis und die Umsetzung von Nachhaltigkeit zu fördern. So leisten die Hochschulen ihren Beitrag zum fünfjährigen Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen (2015-2019, WAP), zu dem sich auch Deutschland mit dem Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017) verpflichtet hat. Dadurch tragen die Hochschulen zur Wahrnehmung der Sustainable Development Goals der UN (SDGs) sowie zu deren strategischen Weiterentwicklung und Ergänzung bei. Dies ist sinnvoll, da die SDGs u.a. auf zentrale globale Herausforderungen (wie z.B. steigender Ressourcenverbrauch und Bevölkerungswachstum, Externalisierung ökosozialer Kosten oder Zielkonflikte zwischen Wirtschaftswachstum und ökologischen Grenzen) unzureichend eingehen.

Die Hochschulen bemühen sich, eine angemessene in- und externe Transparenz sicherzustellen, kontinuierliche, offene und reflexive Verbesserungsprozesse zu fördern, den Dialog mit den verschiedenen Anspruchsgruppen der Hochschulen zu unterstützen und den Austausch mit der Gesellschaft zu erleichtern. Hierfür kann es sich als zielführend erweisen, den Status Quo zu analysieren, transparente und regelmäßige Informationen zu ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten bereitzustellen und zu kommunizieren. Eine so gestaltete Nachhaltigkeitsberichterstattung trägt dazu bei, das Nachhaltigkeitsverständnis einer Hochschule mit ihren konkreten Zielen und Maßnahmen zu reflektieren und darüber in Austausch mit den Anspruchsgruppen zu treten.


1. Forschung

Bei Nachhaltigkeit handelt es sich um ein disziplinübergreifendes, normatives und gesellschaftsrelevantes Prinzip. Daher sind neue Formen der problemdiagnostizierenden und lösungsorientierten Forschung in Form einer Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen (interdisziplinär) sowie zwischen Hochschulen und weiteren Teilen der Gesellschaft (transdisziplinär, auch in Bezug auf Transformation) erforderlich.

Neben disziplinspezifischen Ergebnissen der Wissenschaften stehen daher fächerübergreifende Forschungserkenntnisse im Vordergrund, da gerade diese aufgrund der Komplexität und Multikausalität gesellschaftlicher Herausforderungen von großer Bedeutung sind. Wissenschaft braucht innovative, inter- und transdisziplinäre Forschung in und zwischen Geistes- und Kulturwissenschaften, Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Natur- und Ingenieurswissenschaften und Medizin. Dabei wird die methodisch differenzierte Spezialisierung der Fachdisziplinen nicht aufgehoben. Wissenschaft lebt auch von Spezialisierungen. Forschung für nachhaltige Entwicklung kann daher auch unter zentralen Teilaspekten wie beispielsweise Klimawissenschaften, Bioökonomie oder Transformationsforschung stattfinden. Allerdings dürfen die Querschnittszusammenhänge ebenso wenig aus dem Blick geraten wie eine konkrete Lösungsorientierung für gesellschaftliche Herausforderungen.

Die Reichweite und die Grenzen der jeweils vorausgesetzten wissenschaftstheoretischen Modelle bedürfen einer kritischen ethischen Reflexion. Auf dieser Grundlage sollen die jeweiligen Anschlussstellen zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen und anderen Kulturen diskutiert und so ein Austausch ermöglicht werden. Zur effektiven Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen sowie zwischen Wissenschaft und weiteren gesellschaftlichen Akteur*innen sind zusätzliche erkenntnistheoretische und methodische Ansätze erforderlich, die über die Disziplingrenzen hinausgehen. Nur auf diese Weise kann den komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt angemessen Rechnung getragen werden.

Damit können durch die Generierung von Systemwissen (Wissen über Zusammenhänge und Mecha- nismen in ökologischen und sozioökonomischen Systemen), Zielwissen (Wissen über wünschenswerte Systemzustände) und Transformationswissen (Wissen zur Auslösung und Ausgestaltung konkreter Veränderungsprozesse) Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung geleistet werden.

Bei alledem sollten Forscher*innen auf die Differenzierung zwischen nachhaltigkeitsorientierter Forschung und Forschen in gesellschaftlicher Verantwortung (Explikation von LeNa) [4] achten. Erstere fragt, inwieweit Forschung sich in ihrer Konzeption, Durchführung und Wirkungserwartung an globalen Herausforderungen für die Gesellschaft ausrichten und explizit zu ihren Lösungen beitragen kann. Letztere konzentriert sich auf eine ethische und systemische Reflexion der Forschungsprozesse allgemein. Forschungsfragen, Methoden, Ergebnisse und deren Kommunikation sollten hinsichtlich ihrer Wirkungen und Umsetzung kritisch reflektiert werden. Wie im LeNa Reflexionsrahmen für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen [5] postuliert, stehen Forscher*innen auch an Hochschulen in der Verantwortung, sich bei ihren wissenschaftlichen Arbeiten mit ethischen Fragen der eigenen Forschung auseinanderzusetzen.

Die Akteur*innen des Verbundprojekts HOCHN verfolgen das Ziel, Forschungsvorhaben zu nachhaltigkeitsrelevanten Fragestellungen in Form von disziplinärer, inter- und transdisziplinärer Forschung zu unterstützen. Sie stellen sich die Aufgabe, die verschiedenen disziplinären Forschungsfelder unter dem Dachbegriff der Nachhaltigkeit inter- und transdisziplinär zu bündeln. Eine ethische und systematische Reflexion der Forschungsprozesse wird von den Akteur*innen als notwendige Voraussetzung für Forschung in gesellschaftlicher Verantwortung angesehen. Bestehende Anreizsysteme sind zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen.


2. Lehre

Es ist Aufgabe der Hochschulen anhand von disziplinärer, inter- und transdisziplinärer Lehre Wissen und Kompetenzen zu fördern, die es Studierenden ermöglichen, sowohl konzeptionelle als auch praktische Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft zu leisten. Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bedeutet, Nachhaltigkeit mit all ihren Facetten zu erfassen und Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung zu erkennen und zu beurteilen, um im Lebens- und Berufsumfeld verantwortlich und zukunftsorientiert handeln zu können. Die akademische Lehre für BNE sollte vielfältige Erscheinungsformen haben, um die vielschichtigen Anforderungen bedarfsgerecht bearbeiten zu können und ein möglichst breites Band zwischen den einzelnen Anspruchsgruppen in diesem Lehr-Lern-Prozess zu spannen. Dabei müssen sich Fachwissen mit Gestaltungskompetenzen für partizipative Entscheidungs- und Problemlösefähigkeit sowie personalen Kompetenzen verbinden. Ein entscheidender Aspekt ist die Einübung von Reflexionsfähigkeit im Umgang mit Komplexität und Unsicherheit. Zentrale Bedeutung kommt der Verknüpfung von Forschung und Lehre sowie mit disziplinär, inter- und transdisziplinär angelegten Studienangeboten zu, um Gestaltungskompetenz für eine resiliente Entwicklung der Gesellschaft zu fördern.

BNE – verstanden als Bildungskonzept – eröffnet in vielen Disziplinen neue Perspektiven auf Inhalte und ist zugleich ein Impuls für eine methodische Weiterentwicklung der Lehre. Sie verknüpft auf diese Weise Grundlagen-, Orientierungs- und Anwendungswissen, zielt auf aktive Teilhabe, Mitgestaltung und Handlungskompetenz der Lernenden. Darüber hinaus befähigt sie zu kritisch-reflexivem und systemisch-vernetztem Denken und fördert interkulturelles Lernen. Darüber hinaus umfasst sie sowohl Urteils- als auch Gestaltungs- und Transformationskompetenz und berücksichtigt lebenslanges Lernen. Voraussetzung dafür ist die Entwicklung von Wissen und Kompetenzen zu Nachhaltigkeit und zur BNE bei Lehrenden und MultiplikatorInnen (vgl. „Prioritäre Handlungsfelder“ 2 und 3 des BNE-Weltaktionsprogramms, WAP) sowie die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen.

Die Akteur*innen des Verbundprojekts HOCHN setzen sich für ein ganzheitliches Bildungskonzept für nachhaltige Entwicklung ein, das die Transformation der Lern- und Lehrumgebung einschließt, die Verankerung von Nachhaltigkeitsprinzipien und Lehrinhalten in sämtlichen Bildungskontexten von Hochschulen gewährleistet und sich in den Studien- und Prüfungsordnungen der Hochschulen widerspiegelt. Die Weiterbildung von Lehrenden und Multiplikatoren bildet die hierfür nötige Grundlage.


3. Betrieb

Im Betrieb sind langfristig wirksame Rahmenbedingungen zu schaffen, um der Vorbildfunktion für nachhaltigkeitsorientiertes Handeln sowohl gegenüber den Studierenden und Beschäftigten als auch gegenüber der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Hierbei ist die ressourcenschonende und sozialverantwortliche Ausgestaltung beispielsweise des Betriebs von Laboren, Technika und Gebäuden, sowie der Verwaltungsprozesse und des Campusmanagements der Hochschulen wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung von Hochschulen.

Durch gezielte Maßnahmen in strategischen Organisationsbereichen wie dem Finanz-, Personal-, Gesundheits-, Beschaffungs- und Entsorgungs-, Mobilitäts- und Weiterbildungsmanagement sowie der Ernährung, des Tierschutzes und der baulichen und technischen Infrastruktur sollen modellhaft ökologisch und sozial verträgliche Lösungen entwickelt werden, die schrittweise einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess erzielen. Diese Aufgabe hat nicht nur eine technische, organisatorische und verhaltensbezogene Dimension, sondern ist auch als sozialer und dialogischer Prozess im Zusammenspiel von Forschung, Lehre und Verwaltung zu verstehen, dessen Gelingen ein faires und respektvolles Miteinander zur Grundlage hat.

Auch ein verantwortungsvoller Umgang der Hochschulleitungen und der jeweils Zuständigen mit allen Beschäftigten und Studierenden (beispielsweise durch familienfreundliche Arbeits- und Studienbedingungen sowie adäquate Mitbestimmung) ist essentieller Bestandteil eines nachhaltigen Campusmanagements. Der Campus kann als Reallabor für Nachhaltigkeit gestaltet werden, um gesamtinstitutionelle Lernprozesse in der Verknüpfung von Forschung, Lehre und Praxis anzustoßen.

Die Akteur*innen des Verbundprojekts HOCHN setzen sich für die Umsetzung eines umfassenden Nachhaltigkeitsverständnisses im Betriebsmanagement ein. Es kann sich als hilfreich erweisen, ein Nachhaltigkeits-, Umwelt- oder Klimaschutzprogramm zu erstellen, in dem die Zielsetzungen und Maßnahmen aufgeführt und kommuniziert werden. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, Stabsstellen und Nachhaltigkeitskommissionen einzurichten, die für die Koordination und Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen verantwortlich sind.


4. Governance

Die vielfältigen und komplexen Aufgaben der Governance im Kontext von Hochschulen erfordern ein Verständnis sowie eine Verankerung von Nachhaltigkeit in den jeweiligen Hochschulstrukturen. Die Hochschulkultur definiert sich durch ein Werteverständnis, das sich im Leitbild der Hochschule widerspiegelt und von den Hochschulangehörigen gelebt wird. Grundlage dafür ist, dass möglichst alle Anspruchsgruppen in den Prozess einer nachhaltigen Entwicklung der Hochschule eingebunden werden.

Dies geschieht u.a. durch die hochschuleigene Reflexion von Nachhaltigkeit und die Formulierung einer Nachhaltigkeitsstrategie. Weitere Elemente sind Selbstverpflichtungen, die Benennung personeller Verantwortlichkeiten, die Partizipation an internen und externen Nachhaltigkeitsprozessen sowie die Anerkennung für das Engagement der AkteurInnen bei der Gestaltung einer Hochschullandschaft, die sich an den Grundsätzen einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft orientiert. Nicht zuletzt ist eine kritische Selbstreflexion der Akteur*innen für den gesamten Prozess der Implementation von Nachhaltigkeit an den Hochschulen wesentlich. Berichterstattung kann ein wichtiges Instrument der Selbstreflexion, der Optimierung von Governance-Prozessen sowie der Kommunikation nach innen und außen sein.

Nachhaltige Entwicklung wird als ein lernendes Konzept aufgefasst, das die Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven und Zugänge begreift. Die aktive Beteiligung der Studierenden gibt dafür wichtige Impulse. Gerade diese Pluralität der verschiedenen hochschulischen Anspruchsgruppen sowie deren Vorstellungen zum Nachhaltigkeitsprozess ist eine Herausforderung für den Dialog sowie für eine strategische Bündelung der vorhandenen Potentiale.

Die Akteur*innen des Verbundprojekts HOCHN setzen sich dafür ein, ihr hochschuleigenes Verständnis von Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln und zu einer Hochschulkultur beizutragen, die auf einem entsprechenden Werteverständnis basiert. Dazu zählt auch, sich mit Strategien, Strukturen und Verantwortlichkeiten für die gesamtinstitutionelle Umsetzung von Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen, unter Einbindung aller Anspruchsgruppen der Hochschule und mit Blick auf einen Whole Institution Approach.


5. Transfer

Hochschulen stehen in besonderer Mitverantwortung für die Gestaltung der vielschichtigen Transformationsprozesse auf der lokalen bis hin zur globalen Ebene. Ihre Aufgabe ist es, Impulse zu einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft zu setzen und durch Transfer aktiv daran mitzuwirken. Dieser Transfer ist gekennzeichnet durch einen dialogischen, partnerschaftlichen Austausch von Wissen, Ideen, Technologien und Erfahrungen zwischen Hochschulen und externen PartnerInnen aller gesellschaftlichen Gruppen. Ein solcher gemeinsamer Lern- und Gestaltungsprozess auf Augenhöhe hat zum Ziel, die Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit der Beteiligten für Nachhaltigkeit zu stärken.

Transfer knüpft an den Kernaufgaben der Hochschulen an: In der Forschung ist Nachhaltigkeitstransfer gekennzeichnet durch eine gemeinsame Wissensproduktion mit außenstehenden Akteur*innen im Sinne transdisziplinärer Forschung. Dabei wird die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen angestrebt, was eine praktische Umsetzung einschließt. Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre orientiert sich an Bildung für nachhaltige Entwicklung und erfolgt im Praxiskontext als gegenseitiger Lernprozess zwischen Studierenden, Lehrenden und Transferpartner*innen. So erwerben Studierende und Praxisakteur*innen Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung in der realitätsnahen Auseinandersetzung mit der Lebenswelt. Umgekehrt erhalten Lehrende neue Impulse zu gesellschaftlich relevanten Fragen.

Insgesamt entwickeln Hochschulen Nachhaltigkeitskompetenzen mittels wechselseitiger Wissensgenerierung als Third Mission: Sie regen gesellschaftliche Diskurse und Lernprozesse an, stellen ihre Reflexionsprozesse – wo dies inhaltlich angemessen erscheint – in gesellschaftlich relevante Praxiskontexte und gestalten diese gemeinsam mit außeruniversitären Akteur*innen.

Um die Hochschulangehörigen für die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft zu sensibilisieren und zu einer gerechteren, ökosozialen sowie technisch-ökonomischen Transformation zu befähigen, sind Wissenschaftskommunikation, Engagement für Politikberatung sowie eine Zusammenarbeit mit Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Gruppen und Medien wichtig. Dabei ist auf Unabhängigkeit der Wissenschaft und Transparenz hinsichtlich möglicher Abhängigkeiten zu achten.

Die Akteur*innen des Verbundprojekts HOCHN initiieren und unterstützen öffentliche Diskurse sowie einen Erfahrungsaustausch zur nachhaltigen Entwicklung und zu gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie wollen durch den Wissenstranstransfer praktische Umsetzungen nachhaltiger Entwicklung fördern und selbst von gesellschaftlichem Erfahrungs- und Implementationswissen lernen. Die Akteur*innen von HOCHN fördern eine breite Beteiligung der Anspruchsgruppen am universitären Nachhaltigkeitsprozess. Sie stärken Eigeninitiativen und Engagement in diesem Prozess und tragen so zu einem lebendigen Austausch mit Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft im Blick auf die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen bei.

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  2. HRK / DUK – Hochschulrektorenkonferenz / Deutsche UNESCO-Kommission (2010): Hochschulen für nach- haltige Entwicklung (= Entschließung der 7. Mitgliederversammlung am 24.11.2009 / Entschließung des DUK-Vorstands am 22. Januar 2010), https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/hochschulen-fuer-nachhaltige-entwicklung/ (Zugriff: 10.07.2018).
  3. HRK – Hochschulrektorenkonferenz (2018): Für eine Kultur der Nachhaltigkeit (= Empfehlung der 25. HRK- Mitgliederversammlung vom 6.11.2018), https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/fuer-eine-kultur-der-nachhaltigkeit/ (Zugriff: 14.11.2019).
  4. Fraunhofer-Gesellschaft / Helmholtz-Gemeinschaft / Leibniz-Gemeinschaft (Hg.) (2015): Explikation zum BMBF-Verbundvorhaben. Leitfaden Nachhaltigkeitsmanagement »LeNa Management«, München.
  5. Ferretti, J. / Daedlow, K. / Kopfmüller, J. / Winkelmann, M. / Podhora, A. / Walz, R. / Bertling, J. / Helming, K. (2016): Reflexionsrahmen für Forschen in gesellschaftlicher Verantwortung. BMBF-Projekt „LeNa – Nachhaltigkeitsmanagement in außeruniversitären Forschungsorganisationen“, Berlin.
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