HOCH-N:Leitfaden Nachhaltigkeitstransfer

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EinzelleitfädenLeitfaden Nachhaltigkeitstransfer
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Begrüßung

Liebe Leserinnen und Leser,

in diesem Leitfaden geht es um die Verbindung von Transfer und nachhaltiger Entwicklung an Hochschulen. Über Wissens- und Technologietransfer hinaus wird Transfer hier in einem breiten Sinne als Austausch zwischen Akteur*innen der Hochschule und der Praxis verstanden. Solche Praxis-Hochschul-Kooperationen sind ein möglicher Ansatzpunkt, um eine nachhaltige Entwicklung an Hochschulen voranzubringen – und in der Gesellschaft! Im weiteren Verlauf sprechen wir von Nachhaltigkeitstransfer.

Der Leitfaden richtet sich an diejenigen Mitglieder der Hochschule, die Interesse daran haben, Nachhaltigkeit und/oder Transfer in Lehre, Forschung und bei Third Mission zu integrieren, beides miteinander zu verknüpfen, Elemente von Nachhaltigkeitstransfer zu erproben oder systematisch auszubauen. Folgende Zielgruppen sind angesprochen:

·        Lehrende und Forschende, die an ihrer Hochschule nachhaltige Entwicklung im Austausch mit der Praxis weiterentwickeln möchten: Mittels Transfer können sie ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten noch stärker in der Lebenswelt verankern und Nachhaltigkeitsimpulse aus der Gesellschaft für die eigene Arbeit in Lehre und Forschung aufgreifen.

·        Hochschulleitung und -verwaltung wie Transferstellen, Nachhaltigkeits- und Umweltmanagement: Das Thema Transfer gewinn an Bedeutung bei Ausschreibungen oder als Thema in der Lehre (Kompetenzorientierung, professionelle Befähigung). Es gibt bereits vielfältige Anknüpfungspunkte für Nachhaltigkeitstransfer an den Hochschulen, aber dessen Potenzial kann häufig noch viel systematischer entwickelt und genutzt werden.

·        Praxispartner*innen, denn ohne sie gibt es keinen Transfer. In diesem Leitfaden erfahren sie, welche Rahmenbedingungen für Hochschulen relevant sind.

Ziel ist es, den Handelnden eine strategische Orientierung zum Thema Nachhaltigkeitstransfer zu geben. Der Leitfaden zeigt auf, wie nachhaltige Entwicklung an Hochschulen durch Transfer gestärkt und wie umgekehrt Transfer durch Nachhaltigkeit zusätzliche Impulse erhalten kann. Weiterhin werden Ansatzpunkte und Hinweise für die Planung, Umsetzung und Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitstransfer vorgestellt. Nach einer kurzen Einführung zu Transfer allgemein werden die folgenden Fragen behandelt: Was ist Nachhaltigkeitstransfer? Wie können Transferaktivitäten konzeptionell-analytisch erfasst werden? Auf welche Weise kann die Nachhaltigkeitsausrichtung im Transfer verankert werden? Was muss bei der Initiierung, Konzeption und Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer in Lehre und Forschung beachtet werden?

Die fachliche Grundlage für den Leitfaden wurde im Forschungsprojekt „Nachhaltigkeit an Hochschulen: entwickeln – vernetzen – berichten“ (HOCHN) mittels empirischer Forschung und Erprobung der ersten Fassung des Leitfadens von 2018 gelegt. Weitere Publikationen und praktische Arbeitsinstrumente zu Nachhaltigkeitstransfer finden sich auf der Projekthomepage und im Wiki von HOCHN.

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und Freude beim Ausprobieren von Nachhaltigkeitstransfer!

Wir freuen uns über kritisch-konstruktive Rückmeldungen!

1.   Vorstellung des Verbundprojekts HOCHN Nachhaltigkeit an Hochschulen

1.1. Nachhaltigkeit als Aufgabe für Hochschulen

Nachhaltigkeit ist eine drängende gesellschaftliche Entwicklungsaufgabe, die immer mehr in den Fokus rückt. Hochschulen sind wie alle anderen gesellschaftlichen Akteur*innen gefordert, sich mit den damit verbundenen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Wie kann es komplexen Organisationen wie Hochschulen gelingen, den Prozess einer nachhaltigen Entwicklung innerhalb der eigenen Institution anzustoßen, aufrecht zu erhalten und zu einer dauerhaften Aufgabe zu machen? Wie kann es gelingen, dass sich möglichst viele Akteur*innen für nachhaltige Entwicklung engagieren? Für diese Fragen gibt es kein Patentrezept, keine Handlungsanleitung, keine Checkliste, die für alle Hochschulen gleichermaßen hilfreich wäre oder von allen gleichermaßen genutzt werden könnte – zu unterschiedlich sind Hochschulen, etwa hinsichtlich ihrer Rechtsform (privat oder öffentlich), ihres Typs (Universität, Fachhochschule, Hochschule für angewandte Wissenschaften), ihrer Lage (ländlicher Raum oder Metropolregion) oder Größe (kleine spezialisierte oder große Volluniversität). Darüber hinaus werden die Hochschulen von externen Rahmenbedingungen beeinflusst, die je nach Bundesland Nachhaltigkeitsthemen mehr oder weniger befördern.

In einer ersten zweijährigen Forschungsphase (11/2016-10/2018) hat sich der HOCHN-Verbund mit den genannten Fragen beschäftigt. Der hier vorliegende Leitfaden ist einer von insgesamt sechs HOCHN-Leitfäden, die zunächst als Betaversionen vorlagen und die Ergebnisse dieser Arbeit ausschnitthaft darstellen. In der anschließenden zweiten Phase des Projektes wurden die Leitfäden durch die elf Verbundpartner*innen an unterschiedlichsten Hochschulen erprobt. Einige Erkenntnisse der Erprobungsphase sind in diese zweite und finale Auflage der Leitfäden eingeflossen. Neben dem Forschungsvorhaben der elf deutschen Hochschulen des Verbundes besteht das HOCHN-Projekt aus einem wachsenden Nachhaltigkeitsnetzwerk von Hochschulen aus dem deutschsprachigen Raum, in dem sich inzwischen Partner*innen aus circa 140 Hochschulen austauschen (Stand August 2020).

Innerhalb der inzwischen fast vierjährigen Zusammenarbeit und mit dem engen bundesweiten Austausch über zahlreiche Veranstaltungsformate wie Praxis-Forschungssessions, Kollaborationstreffen und Netzwerk-Hubs, ist der eigentliche Mehrwert von HOCHN deutlich geworden: die Schaffung eines Transformationsfeldes zwischen Studierenden, (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen, Praktiker*innen sowie anderen Nachhaltigkeitsakteur*innen. Dadurch werden neue Sichtweisen ermöglicht, gegenseitige Wertschätzung unabhängig von Hierarchieebenen entwickelt und ein vertrauensvoller Raum für konstruktives Zusammenwirken geboten.

1.2. HOCHN – das Forschungsprojekt

1.2.1. Ziele von HOCHN

Übergeordnetes Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundprojekts Nachhaltigkeit an Hochschulen: entwickeln – vernetzen – berichten (HOCHN) ist es, die nachhaltige Entwicklung der deutschen Hochschullandschaft zu fördern. Daraus leiten sich vier Teilziele ab:

1.      Etablierung und Verstetigung eines Netzwerks zum Erfahrungsaustausch

2.      Entwicklung und Reflexion eines gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses

3.      Förderung nachhaltiger Hochschulentwicklung durch Implementierung von Maßnahmen und Methoden

4.      Erstellung von Leitfäden zur nachhaltigen Hochschulentwicklung, Testung und Zusammenführung zu einem integrierten Gesamtleitfaden

Bis Ende Oktober 2020 ist das Ziel, durch HOCHN eine Roadmap Nachhaltige Hochschulen 2030 als Zukunftsvision einer nachhaltigen Hochschulentwicklung zu entwerfen.

1.2.2. Projektaufbau von HOCHN

Elf geförderte Verbundhochschulen sind in den wie in Abbildung 1 dargestellten Arbeitskonstellationen eingebunden.

Die Teams der elf Verbundhochschulen von HOCHN weisen einen hohen Anteil an Nachwuchswissenschaftler*innen sowie einen breite disziplinäre Themenvielfalt auf. Folgende Hochschulen sind im Verbund vertreten:

·        Freie Universität Berlin

·        Universität Bremen

·        Technische Universität Dresden

·        Universität Duisburg-Essen

·        Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

·        Universität Hamburg

·        Leuphana Universität Lüneburg

·        Ludwig-Maximilians-Universität München

·        Eberhard Karls Universität Tübingen

·        Universität Vechta

·        Hochschule Zittau/Görlitz

Das HOCHN-Projekt wird von einem (inter-)national besetzen Beirat begleitet. Darüber hinaus ist das Institut für Hochschulentwicklung HIS-HE Kooperationspartner im Handlungsfeld Betrieb.

1.1.1. Handlungsfelder

Im Sinne eines die gesamte Hochschulinstitution umfassenden Ansatzes („Whole Institution Approach“) wird neben den Kernbereichen Lehre und Forschung der Betrieb von Hochschulen beleuchtet. Darüber hinaus sind die Handlungsfelder Nachhaltigkeitsberichterstattung und Governance als Querschnittsthemen sowie Transfer Gegenstand der Betrachtung.

1.1.2. Leitfäden

Jedes der Arbeitspakete hat sich über den Projektverlauf mit einem spezifischen Thema hochschulischer Nachhaltigkeit beschäftigt: Forschung, Lehre, Betrieb sowie Transfer, ergänzt um die Querschnittsthemen Nachhaltigkeitsberichterstattung und Governance. Die sechs HOCHN-Leitfäden lagen zunächst als Betaversionen vor. Sie wurden parallel zur Gründungs-, Forschungs- und Vernetzungstätigkeit der ersten zwei Förderjahre erstellt und in den folgenden zwei Jahren nach Veröffentlichung pilotiert und überarbeitet. Sie erheben dennoch nicht den Anspruch, die Handlungsfelder vollumfänglich abzubilden, sondern setzen thematische Schlaglichter und fassen die gesammelten und entwickelten Erkenntnisse strukturiert zusammen. Damit stellen sie einen Ausgangspunkt für die Diskussionen im wachsenden HOCHN-Netzwerk dar. Sie sind lebendige Dokumente, bei denen der gemeinsame Erstellungs- und Austauschprozess den eigentlichen Mehrwert hervorbringt. Sie verdeutlichen auch, dass es viele kleine, mitunter unspektakulär erscheinende Schritte sind, die eine Hochschule bewegen.

Zielgruppen der HOCHN-Leitfäden sind all diejenigen, die in ihrer eigenen Hochschule die nachhaltige Entwicklung voranbringen und einen niedrigschwelligen Einstieg in die verschiedenen Handlungsfelder erhalten wollen. Dabei sollen die verschiedenen Grundbedingungen der vielseitigen deutschen Hochschullandschaft im Blick behalten werden, sodass alle Hochschulen Anregungen finden können. Diesen wichtigen Austausch möchte das HOCHN-Netzwerk als bundesweite Plattform in der nachhaltigen Hochschulentwicklung befördern. Zudem richten sich die Leitfäden an alle Stakeholder von Hochschulen, da durch die Leitfäden Transparenz darüber erzeugt wird, welche Rahmenbedingungen und Handlungen für eine nachhaltige Hochschule erforderlich sind.

1.2. HOCHN – das Hochschulnetzwerk

Unter Federführung der Universitäten Hamburg und Bremen wird ein stetig wachsendes Hochschulnetzwerk aufgebaut. In diesem sind zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser finalen Auflage der Einzelleitfäden bereits Angehörige aus circa 140 deutschen Hochschulen vernetzt. Damit können bestehende Erfahrungen und Expertisen an den einzelnen Hochschulen sichtbar gemacht werden, wechselseitiger Austausch angeregt und Voneinander-Lernen ermöglicht werden. Auf der HOCHN-Nachhaltigkeitslandkarte können die zuständigen Personen, Partnerhochschulen sowie Nachhaltigkeitsinitiativen im gesamten deutschen Hochschulraum gefunden werden.

1.3. Ausblick: Es geht weiter!

Die separate Betrachtung von Handlungsfeldern stellt einen pragmatischen Ausgangspunkt dar. Zwischen den Handlungsfeldern bestehen jedoch starke Interdependenzen und ein Whole Institution Approach umfasst auch und insbesondere die Adressierung und Orchestrierung von Schnittstellen zwischen den einzelnen Handlungs- und Themenfeldern nachhaltiger Entwicklung. Diese Schnittstellen zu berücksichtigen, mit Erfahrungswissen anzureichern und anhand konkreter Praxisbeispiele offen zu legen, war daher ein Schwerpunkt der zweiten Projektphase (11/2018-10/2020). Neben der Pilotierung und Überarbeitung der Einzelleitfäden ist das Ziel, ein integriertes, digitales Gesamtformat anzubieten, das zur Anwendung und weiteren Mitgestaltung einlädt. Ab Herbst 2020 ist daher als Ergebnis ein HOCHN-Wiki verfügbar, eine gemeinsame Online-Plattform, die zur Nutzung für alle Interessierten offensteht.

Im HOCHN-Wiki ist neben den Leitfäden und anderen Materialien auch die Roadmap „Nachhaltige Hochschullandschaft 2030“ verfügbar. Die Roadmap zeigt Perspektiven, Potenziale und konkrete Umsetzungspfade auf, wie bis 2030 eine Nachhaltigkeitstransformation deutscher Hochschulen gestärkt und erreicht werden kann. Um die in HOCHN begonnenen Aktivitäten und Vernetzungen auch über die unmittelbare Projektlaufzeit hinaus aufrecht zu erhalten sowie auszubauen, wurde im April 2020 die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen e.V. (DG HochN) ins Leben gerufen. Die DG HochN bietet die Arena, um das UNESCO-Programm „Bildung für nachhaltige Entwicklung 2030“ im deutschen Hochschulsystem auf Grundlage bisheriger Wirkungen weiter umzusetzen und zu verankern.        

1.4. Danksagung

Ohne das BMBF und seine bundesweite Anschubfinanzierung wäre ein Projekt zur nachhaltigen Hochschulentwicklung in dieser Form nicht realisierbar. Als lernendes Hochschulnetzwerk liegt die Aufgabe noch vor uns, dauerhafte Strukturen aufzubauen, bis sich Logiken in den Hochschulen derart verändert haben, dass Nachhaltigkeitsprozesse als funktionale Daueraufgaben wertgeschätzt und personell besetzt bleiben. Persönlich bedanken wir uns insbesondere bei Dr. Karl Eugen Huthmacher, Eckart Lilienthal, Florian Frank, Cornelia Möller sowie Dr. Martin Schulte aus der Abteilung 7: Zukunftsvorsorge – Forschung für Grundlagen und Nachhaltigkeit des BMBF. Durch ihre wertvolle Unterstützung sowie die Möglichkeit, in einer zweiten Förderphase die vielfältigen Erkenntnisse und Ergebnisse zu verdichten und anwendungsbezogen zu prüfen, haben sie wesentlich zur nachhaltigen Entwicklung an Hochschulen beigetragen.

Unserem Projektträger, dem VDI Technologiezentrum, insbesondere Svetlana Thaller-Honold, Christiane Ploetz und Helene Leneschmidt sowie Heinz Horsten möchten wir zudem unseren besonderen Dank aussprechen. Als verlässliche Partner*innen tragen sie mit ihrem Blick ganz wesentlich zu Perspektivenwechsel in der Hochschulwelt bei.

Ebenfalls besonderer Dank gebührt den HOCHN-Fachbeiratsmitgliedern (https://www.hochn.uni-hamburg.de/1-projekt/fachbeirat.html), die sich in vielfältiger Form beratend und mitgestaltend im HOCHN-Netzwerk eingebracht haben.

Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit mit den vielen Akteur*innen für eine nachhaltige Hochschulentwicklung in Deutschland und darüber hinaus.

2.  Nachhaltigkeitsverständnis von HOCHN

2.1. Hintergrund

Gesamtziel des Vorhabens Nachhaltigkeit an Hochschulen (HOCHN) ist die Förderung nachhaltiger Entwicklung an Hochschulen in Deutschland sowie die Konzeption von hierfür geeigneten Maßnahmen und Leitfäden. Eine wichtige Basis dafür ist die Entwicklung eines gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses – wir verwenden im Folgenden die Begriffe Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung synonym – unter Berücksichtigung seiner transformativen Aspekte für eine zukunftsfähige Hochschullandschaft in Deutschland. HOCHN wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Unter www.hoch-n.org finden sich nähere Informationen zum Projekt.

2.1.1. Zum Entstehungsprozess

Das vorliegende Nachhaltigkeitsverständnis des Verbundprojekts HOCHN entstand in einem partizipatorischen und konsultativen Prozess der elf Verbundhochschulen über die Projektdauer November 2016 bis Oktober 2020. Der nachfolgende Text basiert auf den Zielformulierungen bzw. den Nachhaltigkeitsverständnissen der einzelnen Partnerinnen des Verbundprojekts (Freie Universität Berlin, Universität Bremen, Technische Universität Dresden, Universität Duisburg-Essen, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Universität Hamburg, Leuphana Universität Lüneburg, Ludwig-Maximilians-Universität München, Eberhard Karls Universität Tübingen, Universität Vechta und Hochschule Zittau/Görlitz) sowie auf der Auswertung der im Literaturverzeichnis ersichtlichen Texte. Das Nachhaltigkeitsverständnis ist auf konzeptionelle Kohärenz angelegt und arbeitet insbesondere die normativen Implikationen von Nachhaltigkeit heraus. Die Erarbeitung des Nachhaltigkeitsverständnisses des HOCHN-Verbunds fand unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Markus Vogt (LMU München) statt.

2.1.2. Intention des Nachhaltigkeitsverständnisses im Kontext Hochschule

Viele AkteurInnen an deutschen Hochschulen befassen sich in Wissenschaft, Lehre und Betriebspraxis mit dem Themenfeld Nachhaltigkeit. Bislang besteht jedoch kein hinreichender Konsens darüber, wie der aus gesellschaftlicher Verantwortung begründete Anspruch von Nachhaltigkeit im Kontext von Hochschulen verstanden, ausgestaltet und umgesetzt werden soll. Dies zeigt sich beispielsweise in der aktuellen Debatte um die Verhältnisbestimmung von Freiheit und nachhaltigkeitsbezogener Verantwortung der Wissenschaft. Auch aus diesem Grund hat es sich der Verbund HOCHN zum Ziel gesetzt, ein gemeinsames, hochschulspezifisches Nachhaltigkeitsverständnis zu entwickeln, das eine gesellschaftliche Transformation unterstützen soll. Das Nachhaltigkeitsverständnis basiert dabei auf vielfältigen bereits in (internationalen) Beschlüssen verankerten Grundverständnissen von Nachhaltigkeit sowie auf wissenschaftlicher Literatur zum Nachhaltigkeitsprinzip.

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich nicht um einen fixierten Standard, sondern um einen Orientierungsrahmen zur gesamtinstitutionellen Integration und Umsetzung von Nachhaltigkeit als ethisches Prinzip an Hochschulen in Deutschland (insbesondere in den Handlungsfeldern Forschung, Lehre, Betrieb, Governance und Transfer). Dieser muss kontinuierlich an die sich ändernden Erkenntnisse und Rahmenbedingungen angepasst werden. Das Nachhaltigkeitsverständnis innerhalb des HOCHN-Verbunds schließt keineswegs aus, dass einzelne Hochschulen mit ihren unterschiedlichen Zugängen, Schwerpunktsetzungen und Praktiken innerhalb dieses Rahmens je eigene Akzente setzen. Vielmehr betrachten wir die Vielfalt unterschiedlicher Nachhaltigkeitsverständnisse als Gewinn, da Nachhaltigkeit idealerweise auf die jeweiligen Kontexte und Rahmenbedingungen der Hochschulen und auf ihre AkteurInnen Bezug nehmen sollte. Gerade weil es unterschiedliche Akzente gibt, erfüllt eine begrifflich-konzeptionelle Klärung jedoch die wichtige Funktion, Interpretationsspielräume zu klären, offene Fragen für weitere Diskussion und Forschung zu benennen sowie Gemeinsamkeiten trotz kontextuell unterschiedlicher Umsetzungen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung dürfen keine abstrakten Begrifflichkeiten und Konzepte ohne klaren Handlungsbezug bleiben, die sich nach beliebigen Interessenlagen instrumentalisieren lassen. Daher soll das vorliegende Nachhaltigkeitsverständnis Gesprächs- und Kooperationsprozesse stärken. Darüber hinaus liefert es die Basis für eine langfristige und substanzielle Umsetzung von Maßnahmen an Hochschulen, die für eine große gesellschaftliche Transformation (vgl. WBGU 2011) zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele unerlässlich sind.

Dabei können mehrere Ebenen unterschieden werden, die für die Entwicklung eines Nachhaltigkeitsverständnisses für Hochschulen von Bedeutung sind (Systeme, Gruppen und Individuen):

1.    Makroebene: Diese umfasst den übergeordneten gesellschaftlichen Rahmen und funktionale gesellschaftliche Teilsysteme (politische, wirtschaftliche, (sozio-)kulturelle, technologische, ökologische, rechtliche Einflussfaktoren) mit den dazugehörigen Diskursen. Kernfrage: Wie wird Nachhaltigkeit in der Gesellschaft verhandelt?

2.    Mesoebene: Sie nimmt die Hochschule als Organisation sowie deren Einheiten (beispielsweise Fakultäten, Institute, Gremien, Abteilungen, Kooperationskonsortien, Teams etc.) in den Blick. Kernfrage: Welches auf die jeweilige Hochschule ausdifferenzierte Nachhaltigkeitsverständnis findet für die Hochschule im Sinne eines Whole Institution Approach bzw. für deren Organisationsteile Anwendung?

3.    Mikroebene: Diese bezieht sich auf Einzelpersonen (die Hochschulangehörigen und Individuen aus den Anspruchsgruppen) mit ihrem je individuellen Nachhaltigkeitsverständnis. Es ist von persönlichen, individuellen Annahmen und Interpretationen, je nach Vorwissen, Statusgruppe, Werten und Einstellungen, sozialer Einbettung etc. geprägt. Um eine nachhaltige Entwicklung langfristig institutionalisieren und zugleich Individuen zu nachhaltigkeitsorientiertem Handeln befähigen zu können, sind auch diese individuellen Verständnisse von Bedeutung. Es gilt, sie in gegenseitiger Durchdringung mit den jeweiligen Meso- und Makroebenen rückzukoppeln. Kernfrage: Was bedeutet nachhaltige Entwicklung für mein Handeln, auch im Austausch mit und in Abhängigkeit von anderen?

Dabei geht es um die Reflexion des eigenen Handelns auf allen Ebenen mit Bezug zum ethischen, konzeptionellen und transformativen Anspruch der Nachhaltigkeit. Die Freiheit von Forschung und Lehre realisiert sich nur dann in verantwortlicher Weise, wenn die Hochschulen selbst ihre Potenziale für eine Große Transformation der Gesellschaft reflektieren und ihre Erkenntnisse gesamtinstitutionell entsprechend umsetzen. Der Prozess (Kommunikation und strategische Steuerung, um aufeinander abgestimmtes Handeln zu ermöglichen) und das Ergebnis (Schaffung von Strukturen und konkrete Umsetzung auf der Basis eines gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses) sind für alle Ebenen gleichermaßen relevant. Dabei muss auf eine möglichst hohe Kohärenz Wert gelegt werden, um Missverständnisse abzuwenden und sich gegenseitig aufhebende Effekte von Nachhaltigkeitsstrategien zu vermeiden.

Der nachfolgende Text dient einerseits der Verständigung innerhalb des Verbundes HOCHN, andererseits als Instrument der Kommunikation nach außen, um Unterstützung, Kooperation und weitere AkteurInnen für den offenen, kreativen, selbstreflexiven und emergenten Prozess nachhaltiger Entwicklung in und durch Hochschulen zu gewinnen.

2.1.3. Zielgruppe

Der vorliegende Text richtet sich in erster Linie an Hochschulangehörige, insbesondere an diejenigen, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen und Veränderungsprozesse gestalten wollen. Zu den internen Anspruchsgruppen gehören demnach die Studierenden, die Hochschulleitungen, WissenschaftlerInnen und Lehrende, Verwaltungsmitarbeitende und Nachhaltigkeitsbeauftragte. Hervorgehoben sind dabei die Change Agents, die sowohl hochschulintern als auch -extern Umstrukturierungsprozesse vorantreiben wollen. Change Agents finden sich dabei hierarchisch auf allen Ebenen. Dies wird in der Praxis dadurch deutlich, dass Veränderungsprozesse hin zu einer nachhaltigen Entwicklung von Hochschulen sowohl top-down als auch bottom-up initiiert erfolgen können, aber zur erfolgreichen Umsetzung die jeweils andere Ebene benötigen. Als hochschulexterne Anspruchsgruppen sind, neben den Change Agents, z.B. VertreterInnen von zuständigen Landes- und Bundesministerien, Politik, Zivilgesellschaft, Unternehmen, der Hochschulrektorenkonferenz, der Kultusministerkonferenz und der deutschen UNESCO-Kommission zu nennen. Verbindende Elemente zwischen den internen und externen Anspruchsgruppen, die die Wechselwirkungen zwischen den Akteur*innen symbolisieren sollen, sind die Kommunikation, der Austausch und das voneinander Lernen (vgl. Abbildung 2).

1.1. Grundverständnis von Nachhaltigkeit und Ethik im Kontext von Hochschulen

Nachhaltigkeit ist als normatives Prinzip der Maßstab einer globalen und intergenerationellen Gerechtigkeit, die vom gegenwärtigen Wandel des Erdsystems stark herausgefordert wird. Ethisch-politisch ist nachhaltige Entwicklung kein von außen vorgegebenes und festgelegtes Ziel, sondern ein offener Suchprozess mit vielfältigen Zielkomponenten, der sich von daher plural und kulturvariabel gestaltet. Ihr Anliegen ist es, die langfristige Verantwortung, die ökologische Tragfähigkeit, die soziale Gerechtigkeit und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu sichern. Hierzu zielt sie auf die Stärkung kultureller Kompetenzen der Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens ab. Mit ihrer systemisch integrierten Umsetzung wird der Anspruch einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation verbunden. Kern ist die Transformation des Verhältnisses des Menschen zur Natur. Die Aufgabe der Hochschulen besteht darin, sich theoretisch-konzeptionell, methodisch und reflexiv mit den Prozessen und Bedingungen der gesellschaftlichen Transformation auseinanderzusetzen. Gleichzeitig geht es auch darum, wie die ethische Dimension in der Wissenschaft (in den Handlungsfeldern Forschung, Lehre und Betrieb) berücksichtigt und umgesetzt werden kann.

Aufgeklärte Wissenschaft bedarf einer methodisch-kritischen Reflexion zum Stellenwert normativer Perspektiven. Deshalb analysiert Ethik die vielfältigen Gründe, Ziele, Motivationen und Widerstände guten und gerechten Handelns. Dabei erschöpft sie sich nicht darin, rezeptartig fertige Lösungen vorzugeben. Vielmehr will sie zunächst zum Nachdenken anregen und dadurch zur Freiheit befähigen. Die Freiheit der Wissenschaft ist von daher stets als Auftrag zur eigenverantwortlichen Reflexion ihrer Ziele im Dienst einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu interpretieren.

Der Bedarf an ethischer Reflexion und Orientierung ergibt sich vor allem in Umbruchsituationen. Eine solche liegt heute angesichts des tiefgreifenden Wertewandels sowie der globalen, nationalen und regionalen Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung (wie z.B. Klimawandel) vor. Von daher versteht es das Nachhaltigkeitsprinzip sowohl als ökosoziale und ökonomische Herausforderung wie auch als Kulturaufgabe, die natürlichen Lebensgrundlagen für alle Menschen weltweit einschließlich der nachfolgenden Generationen zu erhalten (vgl. Brundtland-Kommission; Art. 20a GG; SDGs) und die Natur in ihrem Eigenwert mit ihrer biologischen Vielfalt zu achten und zu schützen (vgl. Bundesnaturschutzgesetz §1).

Hochschulen als zentrale Akteurinnen des gesellschaftlichen Diskurses widmen sich dieser Thematik an zentraler Stelle. In diesem Kontext, und in Anlehnung an die gemeinsame Erklärung der HRK/DUK (2010) „Hochschulen für nachhaltige Entwicklung“ sowie die Empfehlung der HRK (2018) „Für eine Kultur der Nachhaltigkeit an Hochschulen“, fassen die AkteurInnen des Verbundprojekts HOCHN Nachhaltigkeit als profilstiftende und verbindende Leitidee auf. Mit diesem gemeinsamen Ziel können die Hochschulen ihren je eigenen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Gestaltung der Gesellschaft und zum verantwortungsvollen Umgang mit den Gemeingütern des Planeten Erde leisten.

Den Hochschulen kommt aufgrund ihrer ethischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung eine undelegierbare Reflexionsaufgabe und Impulsfunktion für eine solche gesellschaftliche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit zu. Hochschulen können dabei empirisches und theoretisches Wissen, Methodenkompetenz und Reflexionsfähigkeit als besondere Stärken einbringen. Dem normativen Gehalt von Nachhaltigkeit gerecht zu werden bedeutet zum einen, methodisch über Problemstellungen in den Gesellschaften nachzudenken und sich relevanten Fragen hinsichtlich des Verhältnisses von Mensch und Natur zu stellen. Zum anderen ist in sektorübergreifenden Zusammenhängen zu denken und konkret zu handeln. Es geht darum, wie tragfähige Lösungen zum Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit global, national und regional gefunden, umgesetzt und dauerhaft institutionell implementiert werden können. Dabei ist es für die Ethik konstitutiv, auch Hemmnisse auf dem Weg zur Nachhaltigkeit systemisch in den Blick zu nehmen. Auf dieser Weise kann sie nicht nur Zielwissen generieren, sondern auch Transformationswissen vermitteln.

Die AkteurInnen des Verbundprojekts sind bestrebt, Nachhaltigkeit in den Handlungsfeldern Forschung, Lehre, Betrieb, Governance sowie Transfer in ihren eigenen Hochschulen zu verankern. Damit leisten sie einen Beitrag zur praktischen Umsetzung der oben genannten Ziele, regen einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess an und versuchen eine glaubwürdige Vorbildfunktion einzunehmen. Nachhaltige Hochschulentwicklung wird dabei als offener, reflexiver Prozess verstanden, in dem sich die Freiheit der Wissenschaft und ihre gesellschaftliche Verantwortung wechselseitig bedingen.

Die AkteurInnen des Verbundprojekts verpflichten sich, das Verständnis und die Umsetzung von Nachhaltigkeit zu fördern. So leisten die Hochschulen ihren Beitrag zum fünfjährigen Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen (2015-2019, WAP), zu dem sich auch Deutschland mit dem Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung 2017) verpflichtet hat. Dadurch tragen die Hochschulen zur Wahrnehmung der Sustainable Development Goals der UN (SDGs) sowie zu deren strategischen Weiterentwicklung und Ergänzung bei. Dies ist sinnvoll, da die SDGs u.a. auf zentrale globale Herausforderungen (wie z.B. steigender Ressourcenverbrauch und Bevölkerungswachstum, Externalisierung ökosozialer Kosten oder Zielkonflikte zwischen Wirtschaftswachstum und ökologischen Grenzen) unzureichend eingehen.

Die Hochschulen bemühen sich, eine angemessene in- und externe Transparenz sicherzustellen, kontinuierliche, offene und reflexive Verbesserungsprozesse zu fördern, den Dialog mit den verschiedenen Anspruchsgruppen der Hochschulen zu unterstützen und den Austausch mit der Gesellschaft zu erleichtern. Hierfür kann es sich als zielführend erweisen, den Status Quo zu analysieren, transparente und regelmäßige Informationen zu ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten bereitzustellen und zu kommunizieren. Eine so gestaltete Nachhaltigkeitsberichterstattung trägt dazu bei, das Nachhaltigkeitsverständnis einer Hochschule mit ihren konkreten Zielen und Maßnahmen zu reflektieren und darüber in Austausch mit den Anspruchsgruppen zu treten.


2.   Hochschulen im gesellschaftlichen Kontext – Transfer als Austausch mit der Praxis

Die Ansprüche an Hochschulen wandeln sich wie die Gesellschaft auch. Dazu gehört, dass sich Hochschulen immer häufiger mit Akteur*innen aus gesellschaftlichen Bereichen außerhalb der Wissenschaft, die hier als Praxis bezeichnet werden, austauschen. Ein solcher Austausch und Praxis-Hochschul-Kooperationen können als Transfer bezeichnet werden.

Viele Hochschulakteur*innen engagieren sich in Lehre, Forschung und Third Mission im Transfer. Bei etlichen Hochschulen gehört Transfer inzwischen zum Selbstverständnis. Sie versprechen sich von der Auseinandersetzung mit Akteur*innen aus der Praxis, von deren Expertise und Fragen einen Mehrwert. Die Praxis tritt mit ihren Ideen, Werten und Interessen der Wissenschaft als das „wahre Leben“ gegenüber, das sich nicht an Fachdisziplinen, Handbücher und Methoden hält, sondern quer dazu liegt. Das fordert das wissenschaftliche Denken heraus und bietet Möglichkeiten, Wissenschaft weiterzuentwickeln, zu vertiefen, neue Akteur*innen einzubeziehen und auf gesellschaftlichen Bedarf zu reagieren. Dabei geht es um die alte Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis und die Herausforderung, wie Wissenschaft durch Forschung und zur Lösung realweltlicher Probleme beitragen kann. Wie kann das so genannte „Tal des Todes“ zwischen wissenschaftlichem Wissen und praktischer Anwendung überwunden werden (Van de Ven & Johnson 2006)? In welchem Verhältnis stehen die Referenzsysteme Wissenschaft mit ihren Regeln und Erfolgskriterien für Forschung und Lehre und andere gesellschaftliche Teilsysteme wie Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Familie etc. mit ihren jeweiligen Erfolgsmaßstäben? Wie lassen sich Kommunikation und Kooperation zwischen jeweils unterschiedlichen Handlungslogiken gestalten? Hierbei werden auch Einschränkungen und Grenzen von Transfer deutlich.

In diesem Sinne kann Transfer zu einem Motor für eine Weiterentwicklung der Hochschulen werden, die Antworten auf gesellschaftliche Trends wie Digitalisierung und nachhaltige Entwicklung suchen. „Die Hochschulen entwickeln und definieren ihre zentrale Rolle im steten Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften. In Ausfüllung dieser Rolle erbringen sie Leistungen, die für die wissenschaftliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung Deutschlands von entscheidender Bedeutung sind.“ (HRK 2017, S. 2)

2.1. Motivation für Transfer

Transfer eröffnet der Hochschule einerseits Zugänge, um in die Praxis hineinzuwirken und ihre Kompetenzen aus Forschung und Lehre in gesellschaftliche Gestaltungsprozesse einzubringen. In der Lehre können Praxis-Hochschul-Kooperationen die Anwendungsorientierung der Studiengänge erhöhen, die berufliche Qualifikation verbessern und ganz allgemein eine umfassende Kompetenzorientierung im Studium unterstützen. In der Forschung können Wissenschaftler*innen mittels Transfer wissenschaftliche Theorien, Modelle und Methoden in der praktischen Anwendung testen, schärfen, in Frage stellen und gegebenenfalls überarbeiten.

Andererseits erhalten Hochschulen durch diesen Austausch eine Rückmeldung zur ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Dies reicht vom Bedarf an Wissen für gesellschaftlich relevante Probleme und Fragen, über Impulse für Forschungsfragen, bis hin zu Ideen für neue Verknüpfungen von Disziplinen. An die Lehre werden Anforderungen herangetragen wie beispielsweise die Bildung der Studierenden zu mündigen Bürger*innen oder der Qualifizierungsbedarf von Organisationen und Unternehmen, die Absolvent*innen einstellen. Dies kann dazu beitragen, die Qualität von Studiengängen zu verbessern und die Ziele von Ausbildungsprogrammen mit dem gesellschaftlichen Bedarf abzustimmen.

Hochschulen betreiben Transfer in den unterschiedlichsten Facetten und mit einer großen Bandbreite an unterschiedlichen Partner*innen aus der Praxis. Entsprechend vielfältig sind Formen von Transfer wie z.B. Technologie- und Wissenstransfer, Weiterbildung, Beratung, Beteiligung am sozialen und kulturellen Leben, Teilnahme an Politikgestaltung, Wissenschaftskommunikation, Verträge mit Unternehmen, öffentlichen Trägern und Kommunen etc. (Roessler et al. 2015, S. 13). Angesichts dieser Vielfalt an Aktivitäten und Formen handelt es sich bei Transfer um ein offenes, vielleicht sogar unscharf abgegrenztes Handlungsfeld. Das Phänomen wird mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet, neben Transfer sind noch Bezeichnungen wie Third Mission, Hochschule in gesellschaftlicher Verantwortung, societal impact etc. in der Diskussion (Nölting & Pape 2017).

Besonders prominent diskutiert wird Third Mission als drittes Aufgabenfeld von Hochschulen neben Lehre und Forschung (Schneidewind 2016). Henke et al. (2016, S. 18) definieren Third Mission als eine Interaktion der Hochschule mit hochschulexternen Akteur*innen, die auf gesellschaftliche Bedürfnisse Bezug nimmt. Diese geht über die Pflichtaufgaben der Hochschule in Lehre und Forschung (einschließlich Drittmittelforschung) hinaus, ist aber zumindest lose mit diesen beiden Leistungsprozessen gekoppelt. Third Mission umfasst wissenschaftliche Weiterbildung, Forschungs- und Wissenstransfer (Entwicklung, Vermittlung und Vermarktung von Wissen) und gesellschaftliches Engagement (bürgerschaftliches Engagement, Community Service, erweiterte Beteiligung) (Henke et al. 2016, S. 26-31).

Aufgrund der großen Überschneidungen zwischen Transfer und Third Mission ist eine klare Abgrenzung nicht einfach. Dennoch scheint es sinnvoll, Transfer als eigenständigen Bereich zu beschreiben, weil die inhaltliche Auseinandersetzung mit Praxisakteur*innen im Wesentlichen in Lehre und Forschung erfolgt. Demgegenüber ist Third Mission auf einer anderen Ebene angesiedelt und hebt auf organisatorische Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen für Transfer ab. Third Mission fokussiert Kommunikation(-skanäle), Austauschformate, Netzwerkmanagement und Ressourcenbereitstellung. Dies sind wichtige Rahmenbedingungen neben den fachlich-inhaltlichen Grundlagen aus Lehre und Forschung. Deswegen wird nachfolgend auf Erkenntnisse aus der Fachdebatte zu Third Mission zurückgegriffen, z.B. über deren verschiedene Wirkungsfelder, die Anforderungen an und die Bilanzierung von Third Mission (vgl. Henke et al. 2016; 2017; Roessler et al. 2015; Schneidewind 2016).

Lesetipp
·         Henke, Justus, Pasternack, Peer; Schmid, Sarah (2016). Third Mission bilanzieren. Die dritte Aufgabe der Hochschulen und ihre öffentliche Kommunikation (HoF-Handreichungen 8). Halle-Wittenberg, Institut für Hochschulforschung (HoF).
·         Roessler, Isabel; Duong, Sindy; Hachmeister, Cort-Denis (2015). Welche Mission haben Hochschulen? Third Mission als Leistung der Fachhochschulen für die und mit der Gesellschaft. Gütersloh: CHE gemeinnütziges Centrum für Hochschulentwicklung (Arbeitspaper 182).

2.2. Entwicklung des Transferverständnisses

Der wissenschaftliche Diskurs zu Transfer an Hochschulen ist vielfältig und formiert sich gerade (Nölting et al. 2020). Daher wird Transfer nachfolgend über unterschiedliche Zugänge beschrieben.

Eine erste Annäherung bietet ein Blick auf den Wandel des Transferverständnisses. Das traditionelle Verständnis von Transfer stellt den Technologietransfer aus der Hochschule in die Praxis in den Vordergrund. Hierbei werden in erster Linie ingenieur- und naturwissenschaftliche Erkenntnisse aus der Forschung in Unternehmen für die konkrete Anwendung im Produktionsprozess transferiert. Gerade Fachhochschulen verfügen traditionell über enge Kontakte zur Wirtschaft (Roessler et al. 2015). In der Folge wurde der Begriff auf Wissens- und Forschungstransfer ausgeweitet, worunter eine Weitergabe von Forschungserkenntnissen aus allen Wissenschaftsdisziplinen in die Praxis bzw. für praktische Anwendungen verstanden wird. Dies umfasst einen Transfer auch in Einrichtungen der öffentlichen Hand wie Verwaltungen und Ministerien, z.B. in Form von Politikberatung, sowie in die Zivilgesellschaft. Schließlich ist die Rolle von Hochschulen im regionalen Kontext hinzugekommen, sei es als Motor der Regionalentwicklung, Impulsgeber für Wirtschaftscluster und Innovationssysteme oder für eine nachhaltige Regionalentwicklung (Fritsch et al. 2015; Schiller et al. 2020; Warnecke 2016).

Stimme Transferexpert*in: „Nach meinem Wissen werden ja nicht nur Wissen, Ideen und Technologien transferiert, es geht auch um Handlungen, Vorstellungen, Ansichten und Werte. Also es geht um viel mehr als um das Haptische, Greifbare wie ‚Ich gestalte eine Maschine.‘ oder ‚Ich erläutere Leuten, wie ein Businessplan geschrieben wird.‘“ (Expert*in 01)[1]

Einen zweiten Zugang zum Handlungsfeld Transfer bilden die Erwartungen der Wissenschaftspolitik, die in den letzten Jahren verstärkt an die Hochschulen gerichtet wurden. Das Bundesforschungsministerium fordert in seinem Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation, dass Hochschulen ihr Wissen stärker als bisher allgemeinverständlich und dialogorientiert kommunizieren und wissenschaftliche Inhalte außerhalb der Wissenschaft vermitteln sollen (BMBF 2019). Die Landesministerien schreiben zunehmend Technologie- und Wissenstransfer als Aufgabe der Hochschulen in den Hochschulverträgen und in Landeshochschulgesetzen fest. Das Land Brandenburg hat als erstes Bundesland eine Transferstrategie verabschiedet, um die Zusammenarbeit von Wissenschaft mit Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zu verbessern. Dort werden die Bereitstellung wissenschaftlicher Expertise, Beratung und der klassische Wissens- und Technologietransfer als wichtige Aufgaben für Hochschulen benannt (MWFK 2017).

Hervorzuheben ist die bundesweite Förderinitiative „Innovative Hochschule“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Länder, die 2016 als Pendant zur Exzellenzinitiative gestartet wurde. Gefördert werden Beiträge von kleinen und mittleren Universitäten sowie Fachhochschulen zu Transfer und Innovation im engen und wechselseitigen Austausch mit Akteur*innen aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Die Förderinitiative soll dazu beitragen, „dass aus Erkenntnissen der Forschung in allen Wissenschaftsdisziplinen noch effizienter kreative Lösungen für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit werden.“ (https://www.bmbf.de/de/innovative-hochschule-2866.html)

Einen weiteren Impuls hat das Transfer-Audit gegeben, das der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft seit 2015 durchführt. Es ist gedacht als ein Entwicklungsinstrument für Hochschulen, die ihre Kooperationsstrategie mit externen Partnern weiterentwickeln und Transfer in ihrer Hochschulentwicklung stärken möchten. Zweck des Audit-Verfahrens, an dem sich bis 2020 knapp 50 Hochschulen beteiligt haben, ist es, die Hochschule in der Erreichung ihrer Ziele und dem damit einhergehenden Entwicklungsprozess zu unterstützen und zu beraten. In dem rund einjährigen Prozess werden einem Hochschul-Projektteam externe Transfer-Expert*innen zur Seite gestellt. Sie analysieren gemeinsam Strukturen, Prozesse sowie Ergebnisse von Kooperationsbeziehungen im Verhältnis zu den strategischen und operativen Zielen der Hochschule (Frank et al. 2020).

Link: https://www.stifterverband.org/transfer-audit

2.3. Das Transferverständnis im HOCHN-Projekt

Im Anschluss an die oben genannten Debatten wird hier ein breites Transferverständnis zugrunde gelegt. Der Wissenschaftsrat hat dazu festgehalten, dass Transfer „in einem breiten Sinne Interaktionen wissenschaftlicher Akteure mit Partnern außerhalb der Wissenschaft aus Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik“ umfasst (Wissenschaftsrat 2016, S. 5). Roessler et al. charakterisieren Transfer als Austauschbeziehungen, bei denen Leistungen von Hochschulen unmittelbar in Gesellschaft und Wirtschaft hineinwirken sowie umgekehrt als Strömungen aus Wirtschaft und Gesellschaft, die sich in der Hochschule niederschlagen. Dies führt „im optimalen Fall zu gesellschaftlicher Weiterentwicklung“ (Roessler et al. 2015, S. 39).

In die gleiche Richtung zielt das Transferverständnis, von dem der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft im Rahmen seines Audits ausgeht. Dabei wird „Transfer […] als beidseitiger Austausch von Wissen, Dienstleistungen, Technologien und Personen verstanden. Er umfasst alle Formen der Kooperationsbeziehungen in den Bereichen Forschung und Lehre zwischen Hochschulen und externen Partnern in Wirtschaft, Politik, Kultur und öffentlichem Sektor.“ (Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.; Heinz Nixdorf Stiftung o.J., S. 1)

Auf dieser Basis wird Transfer in diesem Leitfaden wie folgt definiert:

Unter Transfer verstehen wir den freiwilligen Austausch von Technologien, Wissen, Ideen und Erfahrungen zwischen Hochschulen und Akteur*innen aus der Praxis. Zur Praxis zählen Wirtschaft, Politik, Verwaltungen, Kommunen, Verbände, Bildungseinrichtungen und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen, Initiativen und Bürger*innen. Der Austausch dient vorrangig der Bearbeitung praktischer Probleme aus der Gesellschaft.

Anders als bei der oben genannten Definition von Third Mission bezieht dieses Transferverständnis alle Funktionen der Hochschule ein: Lehre, Forschung und Third Mission. Denn Lehre und Forschung bilden die Kernkompetenzen der Hochschule, die auch die fachliche Basis für die Auseinandersetzung mit Praxisakteur*innen darstellen. Die inhaltliche Grundlage für Transfer wird daher maßgeblich in Lehre und Forschung gestaltet.

Zu den Transferakteur*innen zählen auf Seiten der Hochschulen alle Hochschulmitglieder: Forschende, Lehrende, Studierende, Hochschulleitung und -verwaltung. Auf Seiten der außerhochschulischen Praxispartner*innen gehören dazu Unternehmen und Wirtschaftsakteur*innen, Politik, Verwaltungen, Bildungseinrichtungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen sowie Bürger*innen. Transfer wird also jeweils von ganz unterschiedlichen Akteur*innen geprägt.

3.   Transfer für nachhaltige Entwicklung – Nachhaltigkeitstransfer

Verknüpft man Transfer und die gesellschaftliche Verantwortung von Hochschulen mit der Herausforderung einer gesamtgesellschaftlichen Nachhaltigkeitstransformation, entsteht Transfer für nachhaltige Entwicklung – kurz Nachhaltigkeitstransfer. In diesem Kapitel wird eine Definition vorgenommen und anschließend die Merkmale vorgestellt, anhand derer Nachhaltigkeitstransfer beschrieben und analysiert werden kann. Diese Annäherung an Nachhaltigkeitstransfer erfolgt aus der Perspektive von Hochschulen bzw. Hochschulakteurinnen.

3.1. Definition von Nachhaltigkeitstransfer

In diesem Leitfaden wird Nachhaltigkeitstransfer als eine spezifische Form von Transfer verstanden, die auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist. Es handelt sich dabei nicht um ein neues, eigenständiges Konzept, sondern um eine Spezifizierung von Praxis-Hochschul-Kooperationen in Lehre und Forschung (vgl. Abbildung 3). Eine konzeptionelle Beschreibung von Nachhaltigkeitstransfer als spezifische Form von Transfer findet sich bei Nölting et al. (2020).

Definition von Nachhaltigkeitstransfer

Unter Nachhaltigkeitstransfer werden alle Transferaktivitäten verstanden, deren Ziel ein Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung in der Gesellschaft ist. Nachhaltigkeitstransfer ist charakterisiert durch (explizite) Nachhaltigkeitsziele der einzelnen Transferaktivitäten und eine Beschreibung der jeweils angestrebten Nachhaltigkeitswirkung. Ergebnisse von Nachhaltigkeitstransfer sind a) Beiträge zu nachhaltiger Entwicklung wie Modelle, Projekte, Technologien, Konzepte, Lösungen, Tests oder Diskussionen über Nachhaltigkeit und b) die Stärkung der Kernkompetenz aller Beteiligten für nachhaltige Entwicklung durch gemeinsame Lernprozesse. (Nölting et al. 2020)

Das normative Prinzip der Nachhaltigkeit beschreibt inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit auf globaler Ebene als Ziel und Handlungsmaßstab. Der dafür notwendige umfassende gesellschaftliche Wandel ist eine sozial-ökologische, ökonomische und kulturelle Aufgabe, die alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst (vgl. Kapitel 2 Nachhaltigkeitsverständnis von HOCHN). Die Ausrichtung von Transfer auf nachhaltige Entwicklung bringt besondere Aufgaben und Herausforderungen mit sich. Die Formulierung von Nachhaltigkeitszielen für Transferaktivitäten weist über einen direkten Nutzen für die Transferbeteiligten hinaus und ist am Gemeinwohl orientiert. Die Bearbeitung von gesellschaftlichen Problemen erfordert in der Regel einen Aushandlungsprozess, der ein Ringen um normative Orientierung einschließt. Die Lösung praktischer Nachhaltigkeitsprobleme zielt auf eine möglichst hohe Nachhaltigkeitswirkung ab. Durch den breiten Anspruch nachhaltiger Entwicklung ist die Komplexität besonders hoch, denn die Kontextbedingungen müssen möglichst umfassend in räumlicher, zeitlicher und funktionaler Hinsicht berücksichtigt werden, unterschiedlichste Lebensbereiche adressiert und Nebenfolgen vermieden werden sollen. Schließlich streben die Transferakteur*innen an, durch Lernprozesse und Reflexion Kernkompetenzen für nachhaltige Entwicklung zu erwerben (vgl. Kapitel 4.2.2 Nachhaltigkeitsausrichtung von Transfer).

Theoretische und praktische Überlegungen zu Nachhaltigkeitstransfer in Forschung und Lehre können an die Fachdiskurse zu Nachhaltigkeitsforschung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) anknüpfen. Die Debatten zur Nachhaltigkeitsforschung decken ein breites Spektrum von der Grundlagenforschung zu spezifischen Fragen, über transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung (Kates et al. 2001), bis hin zum Konzept der transformativen Wissenschaft ab. Letztere hat das Ziel, Umbauprozesse in Richtung Nachhaltigkeit durch Innovationen zu unterstützen und gesellschaftliche Wandlungsprozesse durch die wissenschaftliche Entwicklung von konkreten Lösungen sowie technischen und sozialen Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern (Schneidewind & Singer-Brodowski 2014; WBGU 2011). Zentrales Element ist ein transdisziplinärer Wissenschaftsansatz, der auf einem intensiven Austausch mit Praxisakteur*innen gründet, bei dem unterschiedliche Akteursgruppen einschließlich der Wissenschaft ihre jeweiligen Kompetenzen in einen gemeinsamen Lern-, Gestaltungs- und Reflexionsprozess einbringen (Bergmann et al. 2010, Defila & Di Giulio 2006).

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) fokussiert die Entwicklung und Förderung von Kernkompetenzen, welche die Lernenden befähigen, Nachhaltigkeitsprobleme zu lösen und Entwicklungsprozesse nachhaltig zu gestalten. Dazu gehören die Fähigkeiten, systemisch, strategisch, wertorientiert und zukunftsorientiert zu denken, interpersonale und intrapersonale Kompetenz sowie Handlungs- bzw. Anwendungsfähigkeit (Brundiers et al. 2020). Ausführliche Informationen zu BNE an Hochschulen gibt es im HOCHN-Leitfaden „BNE in der Hochschullehre“.

Lesetipp

·        Ferretti, J., Daedlow K., Kopfmüller, J., Winkelmann, M., Podhora, A., Walz, R., Bertling, J., Helming, K. (2016): Reflexionsrahmen für Forschen in gesellschaftlicher Verantwortung. BMBF-Projekt „LeNa – Nachhaltigkeitsmanagement in außeruniversitären Forschungsorganisationen“, Berlin. https://www.nachhaltig-forschen.de/fileadmin/user_upload/Reflexionsrahmen_DRUCK_2016_09_26_FINAL.pdf

·        HOCHN-Leitfaden „Nachhaltigkeit in der Hochschulforschung“ https://www.hochn.uni-hamburg.de/-downloads/handlungsfelder/forschung/hoch-n-leitfaden-nachhaltigkeit-in-der-hochschulforschung.pdf

·        HOCHN-Leitfaden „Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Hochschullehre (Betaversion)“.

https://www.hochn.uni-hamburg.de/-downloads/handlungsfelder/lehre/hoch-n-leitfaden-bne-in-der-hochschullehre.pdf


Nachhaltigkeitstransfer hängt von den jeweils bearbeiteten Nachhaltigkeitsthemen, den beteiligten Akteur*innen und Fachdisziplinen ab und ist deshalb sehr vielfältig und stark kontextgebunden. Um eine Beschreibung und Analyse von Nachhaltigkeitstransfer zu ermöglichen, können verschiedene Merkmale herangezogen werden, welche (abgesehen von der Nachhaltigkeitsausrichtung) prinzipiell auch für Transfer allgemein gelten.

o  Organisatorisch-strukturelle Rahmenbedingungen und Handlungsfelder der Hochschule

o  Nachhaltigkeitsausrichtung von Transfer

o  Akteur*innen und Themen

o  Komplexität der Interaktion

Anhand dieser Merkmale können einzelne Aktivitäten von Nachhaltigkeitstransfer über die sehr unterschiedlichen Ausprägungen hinweg systematisch beschrieben werden. Dies bietet eine konzeptionelle Orientierung und unterstützt eine zielgerichtete Konzeption von Nachhaltigkeitstransfer. Die Merkmale werden im folgenden Kapitel 4.2 ausführlich erläutert.

Die Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer wird von den eingesetzten Formaten und der Gestaltung des Transferprozesses geprägt. Deshalb werden in Kapitel 5 unterschiedliche Transferformate sowie ein idealtypischer Transferprozess entlang von vier Phasen geschildert.

Transferbeispiel „InnoForum Ökolandbau Brandenburg“

Das InnoForum Ökolandbau Brandenburg schafft für Akteur*innen der Wirtschaft und Wissenschaft eine offene Plattform, um sich auszutauschen, neue Lösungen zu finden und auszuprobieren. Dort sind die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit den beiden Studiengängen Ökolandbau und Vermarktung (B.Sc.) und Öko-Agrarmanagement (M.Sc.), 30 Partnerbetriebe aus der Region sowie rund 50 assoziierten Praxispartner*innen entlang der Wertschöpfungskette zusammengeschlossen. Eine eigene Koordinierungsstelle an der HNE Eberswalde unterstützt kontinuierlich den formellen und informellen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis.

Für eine konstruktive Zusammenarbeit ist Kommunikation auf Augenhöhe besonders wichtig, um einen fruchtbaren Ideen- und Erfahrungstransfer zu fördern. Gemeinsam schaffen die Akteur*innen einen Raum, der Innovations- und Übernahmeprozesse im Ökolandbau Brandenburg entlang der gesamten Wertschöpfungskette ermöglicht.

Das InnoForum ruht auf drei Säulen:

Betriebe können den fachlichen Austausch mit Kolleg*innen, Wissenschaftler*innen und Studierenden pflegen und dabei vielfältige Interessen und Kompetenzen miteinander vernetzen: Neugründer, Naturschützerin, Quereinsteiger, Gärtnerin, Ackerbauer und Beraterin treffen auf Sozialarbeiter, Käserin, Bäcker, Schafhalterin. Und sie lernen Hochschulabsolvent*innen und potenziellen Arbeitnehmer*innen durch z.B. Praktika und studentische Projektarbeiten kennen.

Dadurch werden Innovationspotenziale der Branche sichtbar und nutzbar und der Bedarf der Praxis wird zum Gegenstand in der Lehre. In der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Hochschule entstehen innovative Lehrkonzepte z.B. forschendes Lernen, wodurch die Studierenden Einblicke in die reale (Öko-)Landwirtschaft und Unternehmen der Wertschöpfungskette erhalten. Die Studierenden werden mit Fragestellungen der Praxis konfrontiert sind, die sie in Kleingruppen und in Teamarbeit selbstständig bearbeiten und die Unternehmen erhalten auf diese Weise Antworten auf ihre Fragen.

Wissenschaft: Das InnoForum hat seit über zehn Jahren Erfahrungen mit on-farm Forschung und transdisziplinärer Zusammenarbeit gesammelt. Durch die Koordinierungsstelle kann transdisziplinäre und bottom-up Forschung kontinuierlich weiterentwickelt sowie Forschungsergebnisse in die Praxis und die Lehre zurückgespiegelt werden.

Der Stifterverband und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben 2017 dem InnoForum den Ars legendi-Preis für exzellente Hochschullehre zum Thema "Praktika und Praxisbezüge" vergeben.

Mehr Informationen online unter http://innoforum-brandenburg.de

1.1. Beschreibungsmerkmale von Nachhaltigkeitstransfer

1.1.1. Rahmenbedingungen und Handlungsfelder der Hochschule

Voraussetzungen für Transfer und Nachhaltigkeitstransfer sind zum einen ein Verständnis von Transfer und geeignete organisatorisch-strukturelle Rahmenbedingungen. Die Eigenschaften und Ausprägungen von Nachhaltigkeitstransfer unterscheiden sich auch, je nachdem in welchem Handlungsfeld der Hochschule sie angesiedelt werden (Lehre und Forschung). Abbildung 4 gibt einen Überblick über den Zusammenhang von Nachhaltigkeitstransfer mit den Rahmenbedingungen und Handlungsfeldern von Hochschulen.

Organisatorisch-strukturelle Rahmenbedingungen: Bei der konkreten Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer spielen die jeweiligen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Von ihnen hängt ab, welche Spielräume Transferakteur*innen haben und welche Formen von Nachhaltigkeitstransfer möglich sind. Dadurch wird die große Spannbreite potenziell denkbarer Varianten von Nachhaltigkeitstransfer eingeschränkt. Die Rahmenbedingungen tragen erkennbar zum Gelingen – oder Scheitern – von Vorhaben und Projekten des Nachhaltigkeitstransfers bei. Die Transferakteur*innen können mittels einer Analyse der Rahmenbedingungen abschätzen, welche Art der Gestaltung von Nachhaltigkeitstransfer realistisch ist. Die Rahmenbedingungen können unterschieden werden in:

·        die externen Strukturbedingungen, die nicht durch die einzelne Hochschule beeinflusst werden können und

·        die organisatorischen Bedingungen an der Hochschule, die von dieser selbst gestaltet werden.

Zu den externen Strukturbedingungen zählen rechtliche Regelungen für Hochschulen, Wissenschaft und Praxis-Hochschul-Kooperationen, die die Handlungsspielräume der Akteur*innen regeln. Dazu gehören die Hochschulgesetze und weitere Vorgaben zu Lehre und Forschung. Weiterhin sind die Ressourcenzuteilung wie Fördermittel und Forschungsbudgets (auch auf Seiten der Praxis) und die damit verbundenen Anreizsysteme relevant. Beispiele dafür sind die Hochschul- und Förderprogramme, die im Hinblick auf (Nachhaltigkeits-)Transfer ganz unterschiedliche Signale aussenden können. Auch das gesellschaftliche Interesse an Praxis-Hochschul-Kooperationen und die damit verbundene Reputation wirken sich aus.

Zu den organisatorischen Bedingungen für Nachhaltigkeitstransfer zählen zunächst formelle Regelungen wie Prüfungsordnungen und Curricula, Forschungsagenden sowie direkt den Transfer betreffend Kooperationsvereinbarungen, Regelungen für Praktika, Patente etc. Einen großen Einfluss hat die strategische Ausrichtung der Hochschule. Die Hochschulleitung kann den Themen Transfer und nachhaltige Entwicklung einen unterschiedlichen Stellenwert gegenüber anderen Themen, wie beispielsweise Forschungs- versus Anwendungsorientierung, Zugang zu Drittmitteln, Digitalisierung oder das Werben um Studierende einräumen. Hochschul-Governance kann Nachhaltigkeitstransfer unterstützen, z.B. durch eine Transferstrategie und/oder Nachhaltigkeitsstrategie (vgl. HOCHN-Leitfaden Governance).

Beispiel: Transferstrategie für Nachhaltigkeit

Die „Transferstrategie | Mission Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeitstransfer wirksam umsetzen“ der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde von 2020 legt den Schwerpunkt auf nachhaltige Entwicklung.         

https://hnee.de/_obj/D91CF8CF-6464-4568-A28A-C64C33E1F042/outline/HNEE_Transferstrategie_11_2020.pdf

Sehr konkret kann Nachhaltigkeitstransfer organisatorisch z.B. durch Transferstellen, Nachhaltigkeitsbeauftragte und ähnliche Einrichtungen an der Hochschule gefördert werden. Neben den Ressourcen für solche Einrichtungen, sind auch Unterstützungssysteme für Transferakteurinnen an der Hochschule und in der Praxis sinnvoll. Hilfreich kann ein Schnittstellenmanagement für Transfer sein, das die Transferakteur*innen systematisch unterstützt, z.B. bei der Anbahnung von Kontakten zwischen Hochschule und Praxis, bei der Informationssuche und Themenfindung oder durch eine organisatorische Begleitung der Transferaktivitäten. Es kann zwischen den verschiedenen Transferakteur*innen mit ihren jeweiligen Handlungs- und Erfolgslogiken vermitteln und zwischen den verschiedenen Sprachen „übersetzen“. Nicht zuletzt kann ein Schnittstellenmanagement klären, wer welche Aufgaben und Verantwortung übernimmt und Ressourcen beisteuert. Darüber hinaus kann ein solches Transfer- oder Schnittstellenmanagement die Kommunikation zum Nachhaltigkeitstransfer übernehmen, den Erfahrungsaustausch anleiten und dadurch eine kooperative Kultur des Austausches zwischen Praxis und Hochschule fördern.

Tabelle 1: Übersicht über Rahmenbedingungen von (Nachhaltigkeits-)Transfer

Übersicht über Rahmenbedingungen für (Nachhaltigkeits-)Transfer
externen Strukturbedingungen

·         rechtliche Regelungen (Hochschulgesetze etc.)

·         Ressourcenzuteilung (Hochschulmittel, Fördermittel, Forschungsbudgets …)

·         Anreizsysteme (Förderinitiative Innovative Hochschulen, Transferaudit)

·         gesellschaftliche Nachfrage nach Praxis-Hochschul-Kooperationen (Reputation, Rankings …)

hochschulinterne, organisatorische Bedingungen

·         formelle Regelungen: Curricula, Prüfungsordnungen, Forschungsagenden, direkt den Transfer betreffende Kooperationsvereinbarungen, Regelungen für Praktika, Patente etc.

·         Hochschul-Governance: Ziele für Nachhaltigkeitstransfer, Transferstrategie, Nachhaltigkeitsstrategie, hochschulinterne Anreizsysteme etc.

·         Ressourcenbereitstellung: Zeit, Räume, Personal, Finanzen für Transfer

·         Organisatorische Unterstützungsstrukturen: Transferstellen, Nachhaltigkeitsbeauftragte etc.

·         Spezifisches Schnittstellenmanagement für Nachhaltigkeitstransfer: Kontaktanbahnung, organisatorische Begleitung, Unterstützung von Erfahrungsaustausch und Reflexionsprozessen

·         Hochschul- und Wissenskommunikation zu Nachhaltigkeitstransfer


Handlungsfelder Lehre und Forschung: Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre ist dadurch charakterisiert, dass Lehr-Lern-Prozesse in reale berufliche und soziale Kontexte eingebettet werden. Durch Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre kann ein expliziter Praxisbezug hergestellt werden: Praktiker*innen berichten im Hörsaal, Studierende suchen nach Lösungen für Praxisprobleme oder es entstehen Lernprozesse zu Nachhaltigkeit von Studierenden, Praktiker*innen und Lehrenden gemeinsam. Es geht um ein anwendungsorientiertes und theoriegeleitetes Lernen in der Praxis, für die Praxis und mit der Praxis. Durch den Einbezug von Praxisakteur*innen werden neue Lehr-Lern-Kontexte geschaffen, bei denen Studierende selbst zu Transferakteurinnen werden können (Nölting et al. 2018a; Nölting et al. 2018b). Nachhaltigkeitstransfer unterstützt damit die Kompetenzorientierung von Lernprozessen im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) durch eine Einbettung in reale Kontexte. Dadurch können Studierende ihr Theorie- und Methodenwissen aus dem Studium in der Berufs- und Lebenswelt anwenden und vertiefen. Sie begeben sich in Lern- und Aushandlungsprozesse, kommunizieren mit verschiedenen Akteur*innen und nehmen unterschiedliche Rollen ein. Sie müssen sich selbst Ziele setzen und ihr Handeln kritisch prüfen. So erwerben sie sozial-kommunikative und personale Kompetenzen, die sich durch traditionelle, stark kognitiv ausgerichtete Lehre im Hörsaal nur schwer entwickeln lassen. Des Weiteren sind sie stärker gefordert, ihre Lernprozesse selbst mit zu gestalten und zu organisieren. Die Praxispartner*innen erhalten Ideen und Zugang zu forschungsbasiertem Wissen, die Lehrenden erlangen tiefere Einblicke in praktische Nachhaltigkeitsprobleme und neue Anregungen für Lehre und Forschung. Das Diskussionspapier „Transfer stärkt Lehre. Wie Nachhaltigkeitstransfer Hochschullehre inspirieren kann“ führt die Wirkungen von Nachhaltigkeitstransfer auf (Nölting et al. 2018a). Beispiele sind studentische Projektarbeiten und Abschlussarbeiten mit Transferpartner*innen, duale Studiengänge, Praktika, Service-Learning, Mitwirkung von Transferpartner*innen in der Lehre, Mentoring und Coaching (vgl. Kap. 5.1 Nachhaltigkeitstransferformate).

Lesetipp

HOCHN-Handreichung Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre. Zur Umsetzung von Praxis-Hochschul-Kooperationen im Hochschulalltag (Nölting, Benjamin; Fritz, Hilke; Seichter, Cosima Zita; unter Mitarbeit von Nadine Dembski, Kerstin Kräusche, Kerstin Lehmann, Heike Molitor, Jens Pape, Alexander Pfriem, Heike Walk (2021). BMBF-Projekt “Nachhaltigkeit an Hochschulen: entwickeln - vernetzen - berichten (HOCHN)”, Eberswalde: Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.)


Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung adressiert aktuelle Problemlagen im Austausch mit Praxisakteur*innen, um wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft hineinzutragen und um umgekehrt gesellschaftliche Impulse aufzunehmen. Nachhaltigkeitsprobleme sind in der Regel hochkomplex und berühren mehrere wissenschaftliche Disziplinen sowie gesellschaftliche Felder. Häufig lässt sich diese Komplexität erst im branchen- und disziplinenübergreifenden Austausch von Wissen und Erfahrungen erfassen und verstehen. Im Rahmen einer transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung kann das Praxiswissen wissenschaftsexterner Akteur*innen in den Forschungsprozess integriert werden, um praxisrelevante Forschungsbedarfe zu identifizieren und entsprechende Lösungen in Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis zu entwickeln. Deshalb kann sich Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung von den Konzepten transdisziplinärer und transformativer Nachhaltigkeitsforschung inspirieren lassen, die in Kooperation mit Praxispartner*innen einen Beitrag zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen anstreben (Nölting et al. 2020). Beispiele sind Forschungskooperationen, Gründungen, Patent- und Lizenzvereinbarungen, Ko-Publikationen, Gutachten und Mitwirkung in Beratungsgremien (vgl. Kap. 5.1 Nachhaltigkeitstransferformate).

1.1.1. Nachhaltigkeitsausrichtung von Transfer

Um Nachhaltigkeit konsequent und wirksam in der jeweiligen Transferaktivität zu verankern, schlagen wir drei verschiedene Zugänge vor. Diese können in der kombinierten Anwendung den Beitrag des Transfers zur nachhaltigen Entwicklung unterstützen:

a)      gemeinsame und explizite Beschreibung der Nachhaltigkeitsziele,

b)     Einschätzung und Evaluation der Nachhaltigkeitswirkung,

c)      Reflexion und kompetenzorientierte Gestaltung der Lernprozesse.

Nachhaltigkeitsziele geben den Transferakteur*innen eine Orientierung, sie motivieren und sie tragen dazu bei, das Handeln der verschiedenen Beteiligten zu bündeln und zu fokussieren. Und sie machen deutlich, mit welchem Anspruch nachhaltige Entwicklung vorangetrieben werden soll. Für das Ausarbeiten von Nachhaltigkeitszielen gibt es zwei Herangehensweisen: Erstens können die Transferakteur*innen eigene Nachhaltigkeitsziele für ihre Transferaktivität entwickeln. Bezugspunkte für solche intern hergeleiteten Ziele bilden das Nachhaltigkeitsverständnis der Transferakteur*innen, das sich z.B. an deren Nachhaltigkeitsleitbildern ablesen lässt. Weiterhin können die Nachhaltigkeitsprinzipien – Effizienz, Konsistenz, Suffizienz – benannt werden, die im Vordergrund stehen. Zweitens können sich die Transferakteur*innen auf extern formulierte Nachhaltigkeitsziele wie die SDGs, die Ziele der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie oder handlungsfeldspezifische Ziele (z.B. Energiewende, Agrarwende) berufen. Solche Ziele haben den Vorteil, dass sie gesellschaftlich anerkannt und in der Regel auch wissenschaftlich geprüft worden sind (Nölting et al. 2020).

Idealerweise werden die Nachhaltigkeitsziele von allen Transferakteur*innen gemeinsam und in einem Wechselspiel von internen und externen Begründungen erarbeitet. Dabei werden externe, eher abstrakte Ziele auf das konkrete Problem und den Lösungsraum der jeweiligen Transferaktivität heruntergebrochen. Umgekehrt richten sich selbst formulierte Nachhaltigkeitsziele an externen Anforderungen jenseits des Projektkosmos aus. Dabei sollten Kontroversen um Nachhaltigkeit aufgegriffen und mögliche Spannungsfelder oder Konflikte benannt werden. Nachhaltigkeitsziele können bezüglich ihrer Reichweite in operative (z.B. Lösung von konkreten, abgegrenzten Nachhaltigkeitsproblemen), strukturelle (z.B. Stärkung der Handlungsfähigkeit der Akteurinnen) und strategische (z.B. Beitrag zur Nachhaltigkeitstransformation) Nachhaltigkeitsziele unterschieden werden.

Die Beschreibung der Nachhaltigkeitsziele erfordert eine Beschäftigung aller Beteiligten mit Nachhaltigkeit und ermöglicht dadurch ein gemeinsames und vertieftes Verständnis dieser komplexen Thematik. Der gemeinsame Diskurs führt im nächsten Schritt zu der Überlegung, auf welche Weise die gesetzten Ziele zu erreichen sind, d.h. auf welche Weise die Transferaktivität nachhaltig wirken soll.

Die Nachhaltigkeitswirkung von Transfer ist im Sinne der Definition zentral. Jedoch ist eine eindeutige Wirkungszuschreibung oder -messung von Nachhaltigkeitstransfer in der Regel sehr schwierig, weil sich einzelne Ursache-Wirkungs-Beziehungen der Transferaktivität in komplexen, realweltlichen Gemengelagen nur schlecht von anderen Umwelteinflüssen abgrenzen lassen. Wirkungen treten mit zeitlicher Verzögerung sowie räumlicher und funktionaler Verschiebung auf und bringen (unerwünschte) Nebenfolgen mit sich. Weil aber das Ziel der Transferaktivität ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung ist, muss die Nachhaltigkeitswirkung so früh wie möglich im Prozess mitgedacht und konzeptionell verankert werden (Nölting et al. 2020).

Um diese abzuschätzen bietet sich die Orientierung an der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung an. Hier gibt es eine breite Debatte zur Nachhaltigkeitswirkung transdisziplinärer Forschung (Lux et al. 2019, Nagy et al. 2020). Das Konzept der Wirkungsgrade (Bergmann et al. 2017) verbindet verschiedene Ansätze der Wirkungsbeschreibung von Forschung in Bezug auf Nachhaltigkeit und kann auch für Aktivitäten in Lehre und Third Mission herangezogen werden. Die Wirkungen werden anhand des räumlichen, zeitlichen und Akteursbezugs beschrieben sowie anhand von Wirkungsformen (Lernprozesse, Capacity Building, Netzwerkeffekte, Verbesserung der konkreten Situation) und anhand von Ergebnistypen (außerwissenschaftliche Ergebnisdarstellung, Leitfäden/Instrumente sowie Veränderungen im Feld). Anhand dieser Merkmale kann (Nachhaltigkeits-)Wirkung differenziert aber auch graduell beschrieben werden. Es werden drei Wirkungsgrade unterschieden (Bergmann et al. 2017):

·        Wirkungen ersten Grades sind unmittelbare auf den zeitlichen, räumlichen und akteursbezogenen Rahmen der Transferaktivität bzw. der Praxis-Hochschul-Kooperation (Projekt) begrenzt. Es werden die konkreten Anliegen und Themen der Transferpartnerinnen bearbeitet, z.B. Integration von Wissensbeständen aus Wissenschaft und Praxis oder die Erarbeitung von kontextspezifischem, fallbezogenen Handlungswissen mit Praxisakteurinnen. Eine Wirkung ist hier vorrangig in Form von Lernprozessen vorhanden, abhängig von Inhalt und Ausrichtung können auch weitere Wirkungsformen (Capacity-Building, Netzwerkeffekte, Verbesserung der konkreten Situation) auftreten.

·        Bei Wirkungen zweiten Grades werden Ergebnisse über die Gruppe der unmittelbar beteiligten Transferpartnerinnen hinaus von weiteren Akteurinnen im breiteren räumlichen und zeitlichen Kontext genutzt. Die Transferpartnerinnen verbreiten ihr Wissen über die unmittelbare Praxis-Hochschul-Kooperation hinaus z.B. durch peer-to-peer Austausch (Weitersagen, Arbeitsgruppen…), Zusammenarbeit mit Intermediären (Verbände, Berater…) oder Koordinator*innen von Transferaktivitäten in anderen Projekten oder Kontexten vor Ort (Imitation). Die Ergebnistypen sind hierbei besonders wichtig: die außerwissenschaftliche Ergebnisdarstellung in Form von Präsentationen, Workshops etc., die Erstellung von Handreichungen oder Leitfäden oder die Produktion von Prototypen. Alle Wirkungsformen sind möglich.

·        Wirkungen dritten Grades vervielfältigen die Wirkungen unabhängig vom Projektbezug und den Transferpartnerinnen im gesamten Handlungsfeld, z.B. durch Institutionalisierung (gleicher Kontext, aber zeitliche Verstetigung) oder Imitation in anderen räumlichen und akteursbezogenen Kontexten, z.B. eine Anpassung rechtlicher Regelungen oder eine Einführung von Labels oder Standards. Dafür sind die Wirkungen der vorigen Wirkungsgrade (Wirkungsform und Ergebnistypen) die Voraussetzung.

Anhand der Wirkungsgrade kann die angestrebte Nachhaltigkeitswirkung einzelner Transferaktivitäten beschrieben werden. Sinnvoll ist es, dies bereits bei der Konzeption miteinzubeziehen (vgl. 5.2), um einen Bezugsrahmen für die spätere Evaluation der Nachhaltigkeitswirkung zu schaffen. Einen angeleiteten Einstieg für wirkungsorientierte Aktivitäten bietet u.a. das „Kursbuch Wirkung“ (Kurz & Kubek 2015), allerdings ohne einen Nachhaltigkeitsbezug. Für die Konzeption der Wirkung(sgrade) können folgende Fragen helfen:

·        Auf welche Akteur*innen soll die Transferaktivität wirken? Wie groß ist bzw. soll der Radius der „Wirkungsbetroffenen“ sein?

·        Wo soll die Transferaktivität räumlich und funktional Wirkung zeigen? Auf welchen Raum ist sie bezogen? Welche Handlungsfelder, Sektoren und gesellschaftlichen Funktionen werden angesprochen?

·        Wann soll sich die Nachhaltigkeitswirkung zeigen? Im Verlauf der Aktivität? Mit Abschluss der Aktivität? Nach dem Abschluss?

·        Welche Wirkungsform steht im Vordergrund? Sollen Lernprozesse ermöglicht, Capacity-Building (Kapazitätsaufbau) für eine nachhaltige Entwicklung betrieben werden? Sollen Akteur*innen vernetzt werden? Oder soll die Verbesserung einer konkreten Situation erreicht werden? In welchem dieser Bereiche liegen die Schwerpunkte der Transferaktivität? Wo muss mit Nebenfolgen gerechnet werden?

·        Mit welchen Ergebnistypen soll die Nachhaltigkeitswirkung erreicht werden? Welche Art von Ergebnissen braucht es, um die angestrebte Nachhaltigkeitswirkung zu erzielen? Geht es um die Entwicklung von Instrumenten, Leitfäden, Prototypen? Oder braucht eine ganz andere Art von Ergebnis?

Auf Basis der Überlegungen zur Nachhaltigkeitswirkung können konkrete und spezifische Kriterien entwickelt werden. Je umfassender die Nachhaltigkeitswirkungen von Projekten belegt werden sollen, desto aufwändiger ist in der Regel das Verfahren zur Entwicklung der Kriterien und deren Erhebung. Daher sollte jeweils abgeschätzt werden, welcher Aufwand notwendig und umsetzbar ist (vgl. Henke et al. 2016).

Stimme Transferexpert*in: „Verbunden mit der Frage nach Forschungsimpact, wird der Transferimpact kommen. Dann sind wir gut beraten, das vorgedacht zu haben und anschlussfähig zu sein. Aber dann ist es umso heikler, dem einen zu sagen, du machst guten, du machst schlechten Transfer. […] Das gibt noch spannende Diskussionen in Zukunft. Ich habe keine Lösung dafür.“ (Expert*in 02)

Reflexion ist ein zentrales Merkmal von Nachhaltigkeitstransfer. Das jeweils zugrunde gelegte Nachhaltigkeitsverständnis und die angestrebte Gemeinwohlorientierung lassen sich nicht allein wissenschaftlich begründen, sondern beruht auf der Aushandlung zwischen den Beteiligten. Wissenschaft kann durch theoretisches und empirisches Wissen, durch methodische Kompetenz sowie deliberative Diskursführung wichtige Kompetenzen in diesen Prozess einbringen. Reflexion ist nicht nur für die Nachhaltigkeitsausrichtung des Transfers und die Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen erforderlich, sondern auch für das Vermeiden von Risiken, das Erkennen „blinder Flecken“ und Nebenfolgen, für den Umgang mit Nicht-Wissen und Unsicherheit etc. In allen Phasen von Nachhaltigkeitstransfer, von der Initiierung bis hin zur Ergebnissicherung, kann Reflexion wesentlich zur Qualität des Transfers und zum Nutzen aller Beteiligten beitragen. Das gilt weiter für die Auswertung und Aufbereitung der Ergebnisse von Nachhaltigkeitstransfer und deren ethische Reflexion, auf die auch im Nachhaltigkeitsverständnis von HOCHN verwiesen wird (vgl. Kap. 2).

Darüber hinaus kann und sollte Nachhaltigkeitstransfer dazu beitragen, die Kompetenz der Transferakteur*innen für nachhaltige Entwicklung im Sinne einer BNE (vgl. Kap. 5.3.1 Nachhaltigkeitstransfer und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)) zu verbessern. Das Potenzial von Nachhaltigkeitstransfer kann insbesondere dann ausgeschöpft werden, wenn sich alle Beteiligten als Lernende in einem Entwicklungsprozess für nachhaltige Entwicklung verstehen. Ein Aufbrechen starrer Rollen, beispielsweise von „Lernenden“ und „Lehrenden“, sowie ein Wechsel zwischen verschiedenen Rollen und Perspektiven gibt Impulse für Lernprozesse und ermöglicht damit die Weiterentwicklung von Kernkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung bei allen Transferakteur*innen. Die Reflexion von individuellen und gemeinsamen Lernprozessen bei Nachhaltigkeitstransfer hilft dabei, die Prozesse und Ergebnisse zu verbessern und sollte deshalb systematisch im Transfer verankert werden.

1.1.2. Akteur*innen und Themen

Zu den Transferakteur*innen zählen auf Seiten der Hochschule alle Hochschulmitglieder: Lehrende, Forschende, Studierende und weitere Mitarbeitende (z.B. von Transferstellen oder aus dem Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement). Sie bringen von Seiten der Wissenschaft theoretisches und empirisches Wissen, Methodenkompetenz, Kritik und Reflexionsfähigkeit in den Transferprozess ein. Auf Seiten der Praxis gehören dazu Unternehmen, Politik und Verwaltungen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen sowie Bürgerinnen. Sie bringen in den Nachhaltigkeitstransfer das Interesse an einer konkreten Problemlösung, ihre Ressourcen wie Personal und Geld für die Umsetzung, ihre Fachexpertise, Erfahrungen in der Umsetzung und Einschätzung der Realisierungsmöglichkeiten, ihre Bewertungen, Praxisexpertise und Umsetzungserfahrung ein (Nölting et al. 2020).

Die Transferakteur*innen beider Seiten decken jeweils ein sehr breites Spektrum ab. Gleichwohl lässt sich grob festhalten, dass sie unterschiedlichen Handlungslogiken folgen: Die Ziele, Erfolgskriterien, Sprachen, Arbeitsweisen, Zeithorizonte und Ressourcenverfügbarkeit zwischen Wissenschaft und Praxis unterscheiden sich. Für eine freiwillige Zusammenarbeit beim Nachhaltigkeitstransfer braucht es daher ein gewisses Maß übereinstimmender Ziele und Interessen.

Die Transferakteur*innen prägen die jeweilige Transferaktivität und bestimmen auch die Themen des Nachhaltigkeitstransfers durch ihr Interesse und den wissenschaftlichen bzw. praktischen Bedarf. Weiter sind ihre Expertise und disziplinäre Verortung wichtig. Es können auch ausgehend von einem bestimmten Themenbereich gezielt Akteur*innen aus dem passenden Handlungsfeld angesprochen werden. Für die Wahl von Kooperationspartner*innen kann die Nachhaltigkeitsorientierung von Praxisakteur*innen eine erste Orientierung bieten, ist aber keine Voraussetzung. Dabei kann es einen großen Unterschied machen, ob der Transfer von der Hochschule oder von Praxisakteur*innen initiiert und gestaltet wird.[1]

Stimme Transferexpertin: „Denn wenn es von der Hochschule ausgeht und es ist nach Forschungslogik definiert, dann muss das, was geschieht, in irgendeiner Art und Weise die Forschung befördern. Wenn es von der Gesellschaft aus geht, muss das nicht zwingend der Fall sein. Das heißt, da können andere Prioritäten vielleicht im Vordergrund stehen. Mit Blick auf: Wie beurteilt man die Dinge? und Welche Rahmen- und Gelingensbedingungen gibt es? könnte sich da etwas entscheidend oder als zumindest nicht unwichtig herausstellen.“ (Expertin 07)

1.1.3. Komplexitätsgrade

Die Gestaltung der Transferaktivitäten, d.h. der Interaktion zwischen Hochschul- und Praxisakteur*innen erfolgt kontextabhängig auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Sie kann anhand ihrer Komplexität beschrieben und unterschieden werden. Kriterien zur Beschreibung und Beurteilung der Komplexität der Interaktion sind die Richtung des Austausches (einseitig, wechselseitig, auf Augenhöhe), die Anzahl der adressierten Zielgruppe, die Austauschintensität der Kooperation sowie der damit verbundene Ressourcenaufwand. Es können grob drei Komplexitätsgrade unterschieden werden: Angebotsorientierung (geringe Komplexität), Austausch (mittlere Komplexität) und Ko-Produktion (hohe Komplexität) (vgl. Abbildung 5). Mit zunehmender Komplexität steigen die Kooperationsintensität sowie die Integrationsleistungen zwischen Hochschule und Praxis und damit der Ressourcenaufwand. Dabei sinkt in der Regel die Anzahl der Teilnehmenden. Höhere Komplexitätsgrade können dabei jeweils auch Aspekte niedrigerer Komplexitätsgrade einschließen.

Mit der Differenzierung in drei Komplexitätsgrade ist keine Wertung verbunden, die Grade haben jeweils unterschiedliche Stärken und Schwächen. Die Komplexitätsgrade dienen als eine Heuristik. Ein geringer Komplexitätsgrad (Angebotsorientierung) ist beispielsweise geeignet für eine breite Wissenschaftskommunikation wie öffentliche Fachvorträge oder Ausstellungen, mit einem hohen Komplexitätsgrad (Ko-Produktion) können hingegen konkrete Nachhaltigkeitsprobleme z.B. in studentischen Projektarbeiten oder in transdisziplinären Forschungsprojekten bearbeitet werden.

Im Sinne einer breiten Verankerung von Nachhaltigkeitstransfer ist es sinnvoll, dass die Transferaktivitäten einer Hochschule verschiedene Komplexitätsgrade abdecken, die sich gegenseitig ergänzen.

Bei der Angebotsorientierung steht eine weitgehend einseitige Übertragung von Wissen und Technologien von der Hochschule in die Praxis (insbesondere aus der Forschung für die Anwendung im Praxiskontext) im Vordergrund. Die Hochschule macht Angebote an gesellschaftliche Akteur*innen und vermittelt einseitig Erkenntnisse, Wissen und Produkte aus Lehre und Forschung ohne zuvor den gesellschaftlichen Bedarf näher zu ermitteln und auch ohne ein Feedback über die Wirkung des Transfers von den Praxisakteur*innen einzuholen. Solche Transferformen können mit einem geringen Ressourceneinsatz durchgeführt werden und sie können vergleichsweise viele Personen erreichen, während die Interaktionsintensität zwischen den Transferakteur*innen dabei eher gering ist. Beispiele dafür sind Ausstellungen, populärwissenschaftliche- und Transferveröffentlichungen, Vorträge von Praxisakteur*innen an der Hochschule, Exkursionen mit und zu Praxispartner*innen, wissenschaftliche Weiterbildung, Wissenschaftskommunikation oder Technologietransfer für die praktische Anwendung. Die Hochschule kann auf diese Weise über Nachhaltigkeitsthemen informieren, Wissen vermitteln (z.B. in der wissenschaftlichen Weiterbildung) und Transferakteurinnen für Problemlagen sensibilisieren.

Merkmale: einseitig, geringe Intensität, geringer Ressourceneinsatz, hohe Reichweite

Stimme Transferexpert*in: „Aus meiner Sicht umfasst Transfer alle Austausch- und Kooperationsbeziehungen zwischen akademischen Institutionen und der Gesellschaft. Austausch heißt, logischerweise, bidirektional. Und wenn man die Erfahrungen aus dem Transferaudit einbringt, wie etabliert ist das an Hochschulen, dann würde ich sagen, in dieser Bidirektionalität zumeist noch nicht gelebt. Zwar fällt das Wort in Strategiepapieren, aber eigentlich ist das, was unter Transfer an Hochschulen läuft, weitgehend angebotsorientiert.“ (Expert*in 03)

Angebotsorientierung – Beispiel in den Handlungsfeldern Lehre und Third Mission: (Lehr-)Buch über Nachhaltigkeit

Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde veranstaltet für alle Bachelorstudiengänge im ersten Semester eine disziplinübergreifende Vorlesung „Einführung in die nachhaltige Entwicklung“. Aus dieser Veranstaltung her ergab sich der Bedarf eines Grundlagenwerks, das das Konzept der Nachhaltigkeit disziplinübergreifend, umfassend und anschaulich vermittelt. Das Buch „Der Mensch im globalen Ökosystem. Eine Einführung in die nachhaltige Entwicklung“ wurde gemeinsam von Professor*innen konzipiert und von Hochschulangehörigen geschrieben. Es richtet sich aber nicht nur an Studierende der HNEE, sondern an alle Interessierten, die sich einen Überblick über das Thema verschaffen oder zielgerichtet in bestimmten Themenfeldern ihr Wissen erweitern wollen. Dabei bietet das Buch nicht nur die bloße Beschreibung eines theoretischen Konzepts, sondern zeigt die Fragen, Herausforderungen und Aufgaben, die mit der Nachhaltigkeitstransformation einhergehen, auf. So soll das Buch die Lese*rinnen nicht nur informieren, sondern auch Impulse für Veränderung geben und Transformationspotenzial aufzeigen. Durch die Publikation als Buch erreicht dieser Nachhaltigkeitstransfer viele Akteurinnen, wobei der Ressourcenaufwand für die Interaktion vergleichsweise gering bleibt, da sich das Produkt mit sehr geringem Aufwand vervielfältigen lässt. Die Interaktion zwischen Hochschule und Lesenden ist kaum vorhanden, es ist eine einseitige Transferaktivität, die nur sehr wenig Aktivität von Seiten der Praxis erfordert.

Das Buch wird hier vorgestellt: www.der-mensch-im-globalen-oekosystem.de

Austausch bezeichnet eine komplexere Form der Interaktion. Die Hochschulakteur*innen sind bestrebt, dass der Nachhaltigkeitstransfer Wirkung zeigt, um diese Nachhaltigkeitswirkung gezielt adressieren zu können, sind Rückmeldungen der Praxisakteur*innen und Feedback-Schleifen während des Transferprozesses erforderlich. Dafür erfragen Hochschulen den Bedarf und die Problemlagen der Praxis und es gibt einen wechselseitigen Austausch von Informationen, Wissen, Einschätzungen und Erfahrungen zwischen den Transferakteur*innen. Dabei verringert sich die Anzahl der Transferbeteiligten, während die Intensität der Interaktion und der damit verbundene Aufwand im Vergleich zu einem angebotsorientierten Nachhaltigkeitstransfer zunimmt. Beispiele dafür sind Erarbeitung von Lösungen für Praxisakteur*innen in der Lehrveranstaltung, Team-Teaching mit Praxispartner*innen (gemeinsame Konzeption der Lehrveranstaltung), Auftragsforschung für Unternehmen, Politik, Verbänden (Gutachten, Mitwirkung in Beratungsgremien, Anhörungen, Expertengespräch), Dialogveranstaltungen.

Merkmale: wechselseitig, mittlere Intensität, mittlerer Ressourceneinsatz, mittlere Anzahl von Beteiligten

Austausch – Beispiel im Handlungsfeld Lehre: Forschendes Lernen im Modul „Praxis regionaler Nachhaltigkeitstransformation“

Im Studiengang Regionalentwicklung und Naturschutz (M.Sc.) an der HNEE wird das Wahlpflichtmodul „Praxis regionaler Nachhaltigkeitstransformation“ mit dem Ansatz des forschenden Lernens durchgeführt. Als Praxispartner ist das Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft, vertreten durch den Leiter der Biosphärenreservatsverwaltung, eingebunden. Das Biosphärenreservat benennt im Vorfeld des Moduls Themenfelder, zu denen es sein Wissen erweitern möchte. Die Studierenden bearbeiten diese Themen anhand ausgewählter Schritte im Forschungsprozess (Forschungsfrage, Untersuchungsmethode, Datenerhebung) in Arbeitsgruppen. Bei einer Exkursion werden Daten erhoben (Experteninterviews) und erste Eindrücke zu den Daten mit dem Praxispartner vor Ort diskutiert. Als Teil der Prüfungsleistung (mündliche Prüfung: Gruppenpräsentation zu Forschungsfrage, Methodik und Ergebnissen) werden von den Arbeitsgruppen wissenschaftliche Poster erstellt, die als Ergebnisdokumentation dem Praxispartner zur Verfügung gestellt werden. Dieses Beispiel zeigt, wie Nachhaltigkeitstransfer für eine Win-Win-Situation der Transferakteur*innen sorgt, wobei unterschiedliche Ziele verfolgt werden: Die Studierenden verfolgen Lernziele, das Biosphärenreservat wünscht sich mehr Wissen. Dafür ist eine wechselseitige Kommunikation notwendig, wobei die Intensität der Interaktion noch im mittleren Bereich bleibt. Der Ressourcenaufwand ist im mittleren Bereich, die Reichweite ist auf das Biosphärenreservat und die teilnehmenden Studierenden beschränkt.

Um Ko-Produktion handelt es sich, wenn Hochschulen mit Transfer komplexe Nachhaltigkeitsprobleme aufgreifen, um diese gemeinsam mit Praxisakteur*innen mit den Mitteln der Wissenschaft zu bearbeiten, d.h. den Transferprozess gemeinsam konzipieren und durchführen. Alle Transferakteur*innen bringen ihre Kompetenzen, Stärken und Perspektiven in gemeinsame Lern- und Forschungsprozesse ein. Das wesentliche Merkmal der Ko-Produktion ist die Kooperation auf Augenhöhe. Durch die hohe Intensität der Interaktion ist der Ressourcenaufwand für die Beteiligten bei diesem Komplexitätsgrad hoch, während die Anzahl der Beteiligten eher gering ist. Beispiele sind die Nutzung von Lehrmethoden mit explizitem Praxisbezug (forschendes Lernen, projektbasiertes Lernen, Service Learning für die Praxis), transdisziplinäre Forschungsprojekte (gemeinsame Problemdefinition, -lösung und Implementierung), Kooperationen und strategische Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung.

Merkmale: gemeinsam und auf Augenhöhe, intensive Interaktion, hoher Ressourceneinsatz, geringe Anzahl Transferbeteiligter

Stimme Transferexpert*in: „[Wir] begegnen uns auf Augenhöhe. Wir sind nicht die Besserwisser, die euch mal die Welt erklären. Sondern wir nehmen eben die Probleme, die in der Gesellschaft existieren, egal wo, auf und versuchen uns auf diese Ebene einzulassen.“ (Expert*in 02)

Ko-Produktion – Beispiel im Handlungsfeld Forschung:

In dem Verbundprojekt ELaN (Entwicklung eines integrierten Landmanagements durch nachhaltige Wasser- und Stoffnutzung in Nordostdeutschland) erarbeiteten Akteur*innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zusammen mit der Praxis innovative Lösungsansätze für eine Verwendung gereinigten Abwassers im Rahmen einer nachhaltigen Landnutzung. 12 Verbundpartnerinnen arbeiteten fünf Jahre (2011-2016) in dem vom BMBF geförderten Projekt (Förderschwerpunkt „Nachhaltiges Landmanagement“). Ziel war es, eine Lösung für die Verbesserung des Landschaftswasserhaushaltes in Zeiten des Klimawandels zu entwickeln, welche sowohl ökologische als auch ökonomische Vorzüge mit sich bringt. Die Praxispartner*innen aus dem Bereich der Abwasserwirtschaft (Berliner Wasserbetriebe, Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz etc.) wurden von Beginn an in die Antragstellung eingebunden. Das Projekt wurde in disziplinär ausgerichtete Themenfelder (Wasser- und Stoffströme, Landnutzung, Sozioökonomische Steuerung) untergliedert, für die Sicherstellung der Verknüpfung der Themenfelder und für die Partizipation weiterer Akteur*innen (Verbände, Landwirt*innen, Verwaltungen) wurde der Themenbereich Wissensintegration eingerichtet. Die Nachhaltigkeitsziele und -wirkung wurden von Beginn an konzeptionell integriert. Auf diese Weise wurden konkrete Modelllösungen für das nachhaltige Landmanagement entwickelt und erprobt. Das Projektergebnis zeigt, dass jeweils sehr standortsensible und kontextspezifische Lösungen zum Umgang mit gereinigtem Abwasser entwickelt werden müssen, um zum nachhaltigen Landmanagement beizutragen. Die Ergebnisse des Projektes sind neben wissenschaftlichen Publikationen Werkzeuge für Praktiker*innen und Entscheidungsträger*innen (Leitfäden, Simulationsprogramm), die bei der Entwicklung solcher Lösungen unterstützen. Die intensive, dauerhafte Kooperation auf Augenhöhe mit einem hohen Ressourcenaufwand und der Beschränkung der Anzahl der Teilnehmenden verdeutlicht den hohen Komplexitätsgrad dieser Transferaktivität.

Mehr Informationen gibt es auf der Website des Forschungsprojektes: www.elan-bb.de

1.   Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer im Hochschulalltag

Da die Vielfalt der Umsetzungsmöglichkeiten von Nachhaltigkeitstransfer nur näherungsweise beschrieben werden kann, geben wir im Folgenden zunächst einen Überblick über mögliche Transferformate in Forschung, Lehre und Third Mission. Anschließend wird der idealtypische Verlauf von Nachhaltigkeitstransfer in vier Phasen (Initiierung, Konzeption, Umsetzung, Ergebnissicherung) skizziert und die Querschnittsaufgaben „Reflexion“ und „Prozessmanagement“ erläutert (Kap. 5.2). Die Phasen und Querschnittsaufgaben werden anschließend auf die Handlungsfelder Lehre und Forschung angewandt und ausführlich beschrieben, um den verschiedenen Rahmenbedingungen, Motiven und Erfolgskriterien gerecht werden zu können (Kap. 5.3 und 5.4).

1.1. Formate von Nachhaltigkeitstransfer

Es gibt eine große Bandbreite an Formen und Formaten, um Nachhaltigkeitstransfer konkret umzusetzen. Diese bezeichnen wir als Transferformate, die den Hochschulfunktionen Lehre, Forschung und Third Mission zugeordnet werden können. In der Lehre werden Lehr-Lern-Prozesse in reale, lebensweltliche Kontexte eingebettet. Forschung erfolgt für und mit Praxispartner*innen zur Lösung von realen, lebensweltlichen Problemen, wobei z.B. Ansätze transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung genutzt werden. Bei Third Mission werden organisatorische Unterstützungsstrukturen und Wissenschaftskommunikation der Hochschule für Transfer gestärkt (König et al. 2020).

Stimme Transferexpertin: „Ich würde grundsätzlich die Unterscheidung zwischen den Transferformaten hinsichtlich der Zielgruppen machen. D. h. ein gutes Transferformat in die Zielgruppe Wirtschaft hinein sind Unternehmensbesuche, Unternehmerfrühstück und Abendveranstaltungen, die rein dem Austausch und Kennenlernen dienen. […] Wenn es um gesellschaftliche Gruppen geht, im Sinne von NGOs, Non-Profit-Organisationen, Vereine und Sozialverbände, könnte ich mir ein ähnliches Format vorstellen. […] Bei der Zielgruppe Bürger, Schüler, Lehrer, also bei den ganzen Multiplikatoren, die es in dem Kontext gibt, sind Ausstellungen oder Informationsmaterialien eine gute Möglichkeit, weil man da erstmal reinkommen muss.“ (Expert*in 01)

In Tabelle 2 geben wir eine Übersicht über das breite Spektrum möglicher Transferformate, um das Konzept des Nachhaltigkeitstransfers zu konkretisieren und Anknüpfungspunkte an bereits bestehende Austausch- und Transferaktivitäten veranschaulichen.

Tabelle 2: Beispiele von Transferformaten verschiedener Komplexitätsgrade

Komplexitätsgrad Beispiele für Transferformate
Handlungsfeld Lehre

Lehr-Lern-Prozesse werden in reale, lebensweltliche Kontexte eingebettet (Ansätze z.B. Bildung für nachhaltige Entwicklung, BNE)

Handlungsfeld Forschung

Forschung erfolgt für und mit Praktikerinnen zur Lösung von realen, lebensweltlichen Problemen (Ansätze z.B. transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung)

Handlungsfeld Third Mission

Organisatorische Unterstützungsstrukturen der Hochschule für Transfer

Angebotsorientierung

von der Hochschule aus

•       Praktikerinnen werden in Unterricht eingeladen: Praxisexpertinnen, Betroffene berichten

•       Problemstellungen und Aufgaben aus der Praxis (z.B. Fragen, Fallstudien, Rollenspiele)

•       Exkursionen zu und mit Praktikerinnen

•       Projekt-, Abschlussarbeiten: Erarbeitung von Lösungen für die Praxis (Fragen, Informationen aus der Praxis)

•       Populärwissenschaftliche Veröffentlichungen (Branchenzeitschriften, Broschüren)

•       Handreichung für die Praxis (Leitfäden, Checklisten, Handlungsempfehlungen etc.)

•       Öffentlichkeitsarbeit zu Forschungsinhalten (Webseiten, Flyer, Pressemitteilungen)

•       Öffentliche Vorträge, Podiumsdiskussionen im Praxiskontext, Blogs über Forschung

•       Bereitstellung von wissenschaftlicher Expertise für Politik und Gesellschaft (Positionspapier, Stellungnahmen von wissenschaftlichen Beiräten)

•       Entwicklung von Patenten, Lizenzvereinbarungen, Normen

•       Homepage, Social Media der Hochschule, von Projekten

•       Presse-, Medienarbeit

•       Vortragsreihen, Nachhaltigkeitsvorlesung, Kinderuni

•       Messeauftritte

•       Tag der offenen Tür

•       Ausstellungen auf Basis von Forschung

Austausch

für die Praxis

•       Erarbeitung von Lösungen für Praxisakteurinnen in der Lehrveranstaltung

•       Team-Teaching mit Praxispartner*innen (gemeinsame Konzeption der Lehrveranstaltung)

•       Vermittlung und Betreuung von Praktika

•       Berufspraktische Ausbildung (z.B. Zertifikate, Jagdschein, Qualitätsmanagement TÜV)

•       Berufsbegleitende Weiterbildung

•       Praxisberatung für Studiengänge (z.B. Praxisbeirat)

•       Projekt- und Abschlussarbeiten: Erarbeitung von Lösungen mit Praxisakteur*innen (Fragestellung & Informationen aus Praxis, gemeinsame Betreuung, Ergebnisse: Empfehlungen, Konzepte)

•       Auftragsforschung für Unternehmen, Politik, Verbänden (Gutachten, Mitwirkung in Beratungsgremien, Anhörungen, Expertengespräch)

•       Technologietransfer (z.B. in Unternehmen)

•       Forschungs-Workshops mit Praxisakteur*innen zu Fragen der Implementierung und Validierung von Ergebnissen aus Praxissicht

•       Dialogveranstaltungen

•       Kooperationsverträge mit Unternehmen, öffentlichen Trägern und Kommune

•       Gründungsaktivitäten

•       Alumniarbeit

•       Nachhaltiger Hochschulbetrieb

Ko-Produktion

gemeinsam mit der Praxis

•       Nutzung von Lehrmethoden mit explizitem Praxisbezug (forschendes Lernen, projektbasiertes Lernen, Service Learning für die Praxis)

•       Projekt- und Abschlussarbeiten: Entwicklung von Lösungen gemeinsam mit Praxisakteurinnen (gemeinsame Entwicklung der Fragestellung/Auftragsklärung, gemeinsame Betreuung und Validierung mit Praxisakteurinnen)

•       Transdisziplinäre Forschungsprojekte: gemeinsame Problemdefinition, Konzeption von Forschungsvorhaben

•       Transdisziplinäre Projekte: gemeinsame Entwicklung von Nachhaltigkeitsinnovationen, -lösungen

•       Transdisziplinäre Projekte: Test, Erprobung von Lösungsansätzen, Implementierung

•       wissenschaftliche Publikationen mit der Praxis

•       gesellschaftliches Engagement (u.a. kulturelle, soziale und ökologische Angebote für und von Studierenden)

•       Kooperationen und strategische Partnerschaften für nachhaltige Entwicklung

1.2. Phasen von Nachhaltigkeitstransfer

Aus der Perspektive der Hochschulen lassen sich mit Blick auf das Handlungsfeld Nachhaltigkeitstransfer idealtypisch vier Phasen und zwei Querschnittsaufgaben beschreiben (vgl. Abb. 7). Die Phasen und auch die Querschnittsaufgaben können sich in der Praxis überschneiden. Der modellhaft beschriebene Ablauf in den vier Phasen ist mit den konkreten Umsetzungsbedingungen des Hochschulalltags konfrontiert. Durch eine Gegenüberstellung der Aufgaben in den verschiedenen Phasen mit den vorhandenen Rahmenbedingungen können Möglichkeiten, Gestaltungsspielräume, Potenziale, aber auch Grenzen der Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer eingeschätzt werden. Die Prüfung der Rahmenbedingungen bezieht sich auf die jeweiligen Hochschulbedingungen einschließlich damit verbundener Hemmnisse, z.B. einschränkende Regelungen, Zeitmangel, Risiken und Unsicherheiten. Aus dieser Prüfung lassen sich dann Ansatzpunkte für die Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer ableiten, Nachhaltigkeitstransfer wird auf diese Weise „geerdet“. So lässt sich auch abschätzen, welcher Komplexitätsgrad jeweils geeignet ist. Zugleich können die Akteur*innen identifiziert werden, die für die konkrete Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer relevant sind, und es lässt sich ableiten, wie die Rahmenbedingungen an der Hochschule weiterentwickelt und verbessert werden könnten. Abbildung 6 zeigt die Aufgaben bzw. Arbeitsschritte in den verschiedenen Phasen und die Querschnittsaufgaben im Überblick.

1. Phase. Initiierung: Identifizierung der Akteurinnen und Themenbeschreibung

Für den Auftakt besteht die Herausforderung darin, das Thema und Praxispartner*innen für eine Transferaktivität zu identifizieren. Die beteiligten Transferakteur*innen bilden den Ausgangspunkt für Nachhaltigkeitstransfer. Eine Schwierigkeit liegt darin, dass sich die „richtigen“ Partner*innen finden. Die Zusammenarbeit ist kein Selbstläufer, da die verschiedenen Seiten gegebenenfalls unterschiedliche Interessen verfolgen, verschiedene „Sprachen“ sprechen, andere Erfolgsmaßstäbe haben und in anderen Zeiträumen denken. Daher ist die Suche mit einigem Aufwand verbunden. Die Kontaktaufnahme kann von Seiten der Hochschule, von Seiten der Praxis oder initiiert durch Dritte (Politik, Berater*innen, NGOs) erfolgen. Ausgangspunkt für eine Kooperation kann entweder das Interesse an einer Zusammenarbeit mit bestimmten Akteur*innen oder ein inhaltliches, thematisches Interesse sein. Im Rahmen eines ersten Austausches prüfen die potenziellen Kooperationspartner*innen, wie groß ihre Übereinstimmungen in Bezug auf eine angestrebte Transferaktivität sind. Hilfreich können dabei schon bestehende Kontakte und Netzwerke sein. Dabei ist es nicht wichtig, ob sich die Beteiligten als Nachhaltigkeitspionier*innen oder als „Einsteiger*innen“ verstehen, denn ein gemeinsames Nachhaltigkeitsverständnis wird in dieser Phase im Dialog entwickelt. Die wesentliche Aufgabe bei diesem Schritt besteht in einer groben Themenbeschreibung, mit der eine gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit gelegt wird. Es wird beschrieben, welches Thema, Problem oder Projekt vor dem Hintergrund nachhaltiger Entwicklung gemeinsam bearbeitet werden soll, um im besten Fall umsetzungsreife Lösungen für dieses Problem zu finden.

2. Phase. Konzeption: Nachhaltigkeitsziele, Ablauf, Aufgaben- und Rollenverteilung

Bei diesem Schritt geht es darum, auf Basis der gemeinsamen Themenfestlegung die Transferaktivität zu planen und eine Vorgehensweise zu entwickeln. Ankerpunkt ist dabei die Formulierung gemeinsamer (Nachhaltigkeits-)Ziele und auf welche Weise der Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung realisiert werden soll (vgl. Kap. 4.2.2 Nachhaltigkeitsausrichtung von Transfer). Gleichzeitig können die Transferpartner*innen auch jeweils eigene Ziele verfolgen, solange sie den gemeinsamen Zielen nicht widersprechen. Daran anknüpfend müssen die Partner*innen Absprachen zum Arbeitsplan treffen, wie Festlegung eines Zeitplans, Verteilung von Aufgaben und Bereitstellung von Ressourcen. Die Arbeitsweise verbindet wissenschaftliches Arbeiten (Fragestellung, Methoden) und das jeweilige Praxisfeld (Nutzen, Umsetzbarkeit) mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung.

3. Phase. Umsetzung

Die Durchführung des Nachhaltigkeitstransfers erfolgt in unterschiedlicher Form, z.B. als Problem- und Situationsanalyse, als Entwicklung von Lösungsansätzen, Prototypen, Projekten oder Innovationen sowie als Test von Modellen oder Projekten, als Implementierung von Lösungsansätzen oder Nachhaltigkeitsinnovationen. Dabei werden unterschiedliche Transferformate genutzt (vgl. 5.1). Je nach Komplexitätsgrad können alle Seiten ihre unterschiedlichen Stärken und Sichtweisen einbringen, um nachhaltige Entwicklung voranzubringen. Die wesentliche Aufgabe besteht darin, Analyse, Entwicklung und/oder Test von Lösungsansätzen im Austausch miteinander umzusetzen und dabei von der Vielfalt der Kompetenzen und Perspektiven der Transferakteur*innen zu profitieren.

4. Phase. Ergebnissicherung

So verschieden die Umsetzung von Transferaktivitäten sein kann, so unterschiedlich können auch die Ergebnisse sein, die darüber hinaus von Wissenschaft und Praxis auch unterschiedlich bewertet werden können. Die Lerneffekte und der Nutzen variieren je nach Akteursgruppe, das neue Wissen und die Lernerfahrungen werden häufig nicht explizit benannt. Deswegen ist es eine eigene Aufgabe, die Ergebnisse des Transfers für alle Transferakteur*innen in den unterschiedlichen Facetten zu sichern. Dazu gehören geeignete Formen der Dokumentation der gemeinsamen Aktivitäten. Die formale Ergebnissicherung kann auf einer solchen Dokumentation aufbauen. Die Herausforderung in dieser Phase liegt darin, die Ergebnisse so aufzubereiten und verfügbar zu machen, dass sie für die unterschiedlichen Zwecke der Transferakteur*innen geeignet sind. Ein weiterer Aspekt ist die Evaluation des Nachhaltigkeitstransfers. Hierbei steht der Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung im Fokus, wobei idealerweise bereits in der Konzeption eine geeignete Operationalisierung der angestrebten Nachhaltigkeitswirkung (z.B. anhand der Wirkungsgrade, vgl. 4.2.2) erfolgt ist, so dass eine Evaluation in angemessenen Umfang und zielgerichtet durchgeführt werden kann.

1.1. Querschnittsaufgaben bei Nachhaltigkeitstransfer

Querschnittsaufgabe Prozessmanagement

Die Zusammenarbeit heterogener Akteur*innen mit unterschiedlichen Zielen und Handlungslogiken erfordert ein angepasstes Prozessmanagement und gute Kommunikation, um diese Differenzen zu überwinden und fruchtbar zu machen. Organisatorische Strukturen geben den Praxispartner*innen Sicherheit, was eine wichtige Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist, und sie können die komplexen Lern- und Gestaltungsprozesse erleichtern. Dafür sind Ressourcen, aber auch eine Kultur der Zusammenarbeit erforderlich. Zum Prozessmanagement zählt weiterhin die Kommunikation über Nachhaltigkeitstransfer, die sowohl an die Ergebnissicherung als auch an die Reflexion anknüpft. Gezielte Kommunikation nach innen und außen ist über den gesamten Transferprozess hinweg relevant und eine wesentliche Voraussetzung für die Transparenz der Transferaktivitäten, die wiederum für die Akzeptanz und Legitimation von Nachhaltigkeitstransfer Voraussetzung ist. Eine Übersicht der Aufgaben, die dem Prozessmanagement zugeordnet werden, gibt Tabelle 3.

Querschnittsaufgabe Reflexion

Die systematische Reflexion des Prozesses ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal von Nachhaltigkeitstransfer. Die Reflexion trägt dazu bei, die Nachhaltigkeitsausrichtung der Transferaktivitäten zu prüfen und zu schärfen. Und sie kann Lernprozesse anstoßen und anleiten, die sich aus Nachhaltigkeitstransfer ergeben. Die Reflexion der Lern- und Erkenntnisprozesse kann nach Akteursgruppen getrennt erfolgen, was mit relativ geringem Aufwand umsetzbar ist. Eine gemeinsame Reflexion des Transferprozesses und einzelner Phasen ist angesichts der Perspektivenvielfalt aufwändiger, verspricht aber auch einen höheren Erkenntnisgewinn. Durch eine wissenschaftlich angeleitete Reflexion können gemeinsame Erkenntnisse und Erfahrungen herausgearbeitet werden, die möglicherweise auch über die jeweiligen fallbezogenen und kontextspezifischen Ergebnisse hinausweisen und zu übertragbaren Erkenntnissen und Erfahrungen führen können. Eine solche Reflexion kann durch die Prinzipien einer BNE inspiriert werden (vgl. Kap. 5.3 Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre). Gerade bei den komplexen Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung sollte die Reflexion den Umgang mit Werten und Emotionen ausdrücklich einbeziehen (vgl. Kap. 2 Nachhaltigkeitsverständnis von HOCHN). Das gilt auch für das Lernen aus Fehlschlägen und Misserfolgen. Es müssen Verantwortlichkeiten für die Reflexion benannt sowie Ressourcen und Zeit dafür eingeplant werden. Verfahren, Vorgehensweise und methodische Anleitungen für die Reflexion von Nachhaltigkeitstransfer sind bislang kaum etabliert und stellen daher hohe Anforderungen an die Beteiligten und das Prozessmanagement.

Tabelle 3: Übersicht über Phasen und Aufgabenbereiche bei Nachhaltigkeitstransfer

  Aufgabenbereiche

Phasen

Akteurinnen und Themen Prozessmanagement Reflexion
1) Initiierung -     Identifizierung von Themen

-     Identifizierung der Transferpartner*innen und Rollenklärung

-     Kontaktaufnahme und Vertrauensbildung

-     Gemeinsame Beschreibung des Transferthemas und Relevanz für nachhaltige Entwicklung

-     Kontaktanbahnung zwischen verschiedene Gruppen managen

-     Rahmenbedingungen abklären

-     Diskussionsrahmen schaffen: transparente Kommunikation, Vertrauensbildung

-     Nachhaltigkeitsverständnisse diskutieren und offenlegen

-     Präzisierung des Nachhaltigkeitsproblems, Klärung der Relevanz

-     Austausch über jeweilige Interessen am Nachhaltigkeitstransfer

2) Konzeption -     Formulierung gemeinsamer Ziele für Nachhaltigkeitstransfer

-     Entwicklung eines Transferkonzepts und der methodischen Vorgehensweise

-     Vereinbarung von Zeit- und Ressourcenplan, Verantwortlichkeiten der Beteiligten

-     Organisatorischen Rahmen bereitstellen

-     Ressourcen einwerben, zur Verfügung stellen

-     Kommunikation und Moderation

-     Zeit- und Arbeitsaufwand für Beteiligte abschätzen

-     Reflexion durchführen, anleiten

-     Aushandeln von gemeinsamen und gruppenbezogenen Nachhaltigkeitszielen

-     Angestrebte Nachhaltigkeitswirkung beschreiben und begründen

-     Abschätzung von Risiken und Nicht-Wissen

-     Rollenklärung für die Beteiligten vornehmen

3) Umsetzung -      Verknüpfung von Theorie und Praxis, z.B. Analyse, Ideenfindung, Konzeptentwicklung

-     Praktische Umsetzung, z.B. Intervention, Test, Erprobung, Implementierung

-     organisatorische Unterstützung der Transferakteur*innen

-     Controlling der Umsetzung

-     interne Kommunikation, ggfs. Konfliktmanagement

-     externe Kommunikation

-     verschiedene Perspektiven, Wissen, Erfahrungen nutzen (Wechselseitigkeit, Augenhöhe)

-     Reflexion des Umsetzungsprozesses

-     Auswertung möglicher Fehlschläge und Misserfolge

4) Ergebnissicherung -      Dokumentation und Aufbereitung der Ergebnisse für eine weitere Nutzung in Wissenschaft und Praxis

-     Evaluation, Bilanzierung, Wirkungsüberprüfung

-     Reflexion der Ergebnisse

-     Ergebnisdokumentation gewährleisten

-     Aufbereitung der Ergebnisse für weitere Nutzung unterstützen

-     Kommunikation der Ergebnisse

-     Reflexion der individuellen Zielerreichung und Lernprozesse

-     Auswertung der gemeinsamen Zielerreichung

-     Schlussfolgerungen für weiteren Nachhaltigkeitstransfer


1.1. Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

In diesem Kapitel werden die Spezifika von Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre dargestellt. Zuerst wird die Verbindung von Nachhaltigkeitstransfer mit dem Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erläutert und anschließend die Operationalisierung der Merkmale von Nachhaltigkeitstransfer im Handlungsfeld Lehre vorgenommen. Die Übersichtsmatrix ermöglicht abschließend eine schnelle Orientierung, welche Themen und Aufgaben in welchen Phasen relevant sind und kann als ein erster Ansatzpunkt für die Entwicklung oder Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre dienen.

1.1.1.  Nachhaltigkeitstransfer und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

Beim Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre werden Praxisakteur*innen in Lernprozesse zu Nachhaltigkeit eingebunden. Als Bezugsrahmen für die didaktische Konzeption kann BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) herangezogen werden. BNE bezieht sich explizit auf gesellschaftliche Herausforderungen und knüpft damit an die Relevanz- und Erfolgskriterien gesellschaftlicher Akteur*innen an, was auch für Nachhaltigkeitstransfer von Bedeutung ist. Ziel von BNE ist, Lernende zur Gestaltung nachhaltiger Entwicklung und einer sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft zu befähigen. Die dazu notwendigen Kernkompetenzen umfassen die Fähigkeit, systemisch, strategisch, wertorientiert und zukunftsorientiert zu denken, interpersonale und intrapersonale Kompetenz sowie Handlungs- bzw. Anwendungsfähigkeit (Brundiers et al. 2020). Mithilfe der verschiedenen Prinzipien von BNE – Nachhaltigkeitsthemen, Didaktik, Lernziele, gesellschaftliche Transformation – lassen sich Lerninhalte, -prozesse und -ziele beschreiben und Lehr-Lern-Konzepte entwickeln. Nachhaltigkeitstransfer kann als Lernort im Sinne „situierten Lernens“ gestaltet werden. Im Sinne von BNE wird der Lernprozess von den Lernenden mit gestaltet, und fordert die Studierenden gerade durch den Praxisbezug heraus (Singer-Brodowski 2016). Die Lehr-Lernumgebungen sollen dabei einen Orts- und lebensweltlichen Bezug haben und thematisch auf Nachhaltigkeit bezogen sein (Bellina et al. 2018). Insgesamt kann sich Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre an den Merkmalen einer BNE (nach Molitor 2018) orientieren:

-       Werden aktuelle und relevante Nachhaltigkeitsthemen behandelt?

-       Wird der Lernprozess kompetenzorientiert gestaltet? Welche Kompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung werden durch den Lernprozess gefördert?

-       Wie sind die Partizipationsmöglichkeiten der Beteiligten in Bezug auf Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Mitwirkung im Lernprozess ausgeprägt?

-       Wird ein Whole Institution Approach verfolgt oder gefördert?

Lesetipp

·        HOCHN-Handreichung Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre. Zur Umsetzung von Praxis-Hochschul-Kooperationen im Hochschulalltag (Nölting, Benjamin; Fritz, Hilke; Seichter, Cosima Zita; unter Mitarbeit von Nadine Dembski, Kerstin Kräusche, Kerstin Lehmann, Heike Molitor, Jens Pape, Alexander Pfriem, Heike Walk (2021). BMBF-Projekt “Nachhaltigkeit an Hochschulen: entwickeln - vernetzen - berichten (HOCHN)”, Eberswalde: Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.)

·        Transfer stärkt Lehre. Wie Nachhaltigkeitstransfer Hochschullehre inspirieren kann. (HOCHN Diskussionspapier der HNE Eberswalde; Nr. 01) https://www.hochn.uni-hamburg.de/-downloads/handlungsfelder/transfer/diskussionspapier-transfer-staerkt-lehre-2018-04.pdf

·        HOCHN-Leitfaden „Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Hochschullehre (Betaversion)“.

https://www.hochn.uni-hamburg.de/-downloads/handlungsfelder/lehre/hoch-n-leitfaden-bne-in-der-hochschullehre.pdf


Beispiel Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre: Studentisches Projekt „Das Hermann Scheer Haus mit Leben füllen – Roadmap zu einem neuen Nutzungskonzept für das Zentrum für Erneuerbare Energien“

Im Masterstudiengang Regionalentwicklung und Naturschutz (M.Sc.) an der HNE Eberswalde wird im dritten Semester das Pflichtmodul „Projektarbeit und ganzheitliche Projektgestaltung“ (12 ECTS) durchgeführt. Die Studierenden bearbeiten in Gruppen von vier bis sechs Personen eine Aufgabe zur nachhaltigen Regionalentwicklung, die aus der Praxis gestellt wird.

Im konkreten Projektbeispiel haben vier Studierende im Wintersemester 2017/18 für das nicht mehr als Ausstellungsfläche genutzt Gebäude des Zentrums für erneuerbare Energien Hermann Scheer in Eberswalde Ideen entwickelt, wie die Räume wieder mit Leben gefüllt werden können. Transferpartner war der erste Vorsitzende E.I.C.H.E. e. V. als Träger des Zentrums für erneuerbare Energien. Die Arbeit im Modul wurde vom Modulverantwortlichen sowie von einem Projektbetreuer der HNE Eberswalde betreut.

Ziel des Projekts war die Entwicklung eines neuen Nutzungskonzeptes für das Zentrum, wobei der ursprüngliche Nutzungszweck des Gebäudes von einer Ausstellungsfläche für die Nutzung erneuerbaren Energien hin zu einer regionalen Kommunikationsplattform für den Klimaschutz weiterentwickelt wurde. Im Zuge der Projektbearbeitung wurden mögliche Entwicklungswege für das Herman-Scheer-Haus unter Beteiligung des Vereins und regionaler Akteur*innenn diskutiert. In dieser Zusammenarbeit stellte sich heraus, dass die Ausgestaltung des neuen Nutzungszwecks „Kommunikationszentrum für den Klimaschutz“ nur unter aktiver Beteiligung regionaler Klimaschutzinitiativen funktionieren kann. Entsprechend wurde im Projekt der Kern eines Netzwerks für die Kommunikationsplattform aufgebaut und ein erstes Netzwerkmanagement für die weitere Koordinierung sowie ein Steuerungsgremium mit Klimaschutzmanager*innen aus der Region eingesetzt. Die Netzwerkkontakte wurden an die Auftraggeber*innen zur weiteren Entwicklung des Zentrums übergeben.

1.1.2. Umsetzung von Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Nachfolgend werden die Transferakteur*innen, die Phasen und die Querschnittsaufgaben im Handlungsfeld Lehre erläutert.

Als Transferakteur*innen bei Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre sind Studierende, Praxispartner*innen und Lehrende in den Lehr-Lern-Prozess mit unterschiedlichen Rollen involviert. Sie bringen ihre jeweiligen Kompetenzen und Interessen ein, so dass alle Beteiligten von diesem Austausch profitieren können:

Studierende bringen ihr aktuelles wissenschaftliches Fach- und Methodenwissen aus ihrem Studium sowie ihr Interesse an gesellschaftlichen Problemen und Fragen nachhaltiger Entwicklung ein und können dieses praktisch anwenden. Mit ihren Ideen, ihrem Engagement und den unterschiedlichen lebensweltlichen Bezügen können sie zur Bearbeitung der Fragen beitragen. Umgekehrt profitieren Studierende von Nachhaltigkeitstransfer, indem sie ihr Wissen in realen Kontexten anwenden. Bei der Suche nach praxisrelevanten Lösungen sind sie vielseitig gefordert. Auf diese Weise entwickeln und trainieren sie Kernkompetenzen und erfahren Selbstwirksamkeit, was die Lernmotivation steigert. Nicht zuletzt erhalten sie Einblicke in die Vielfalt der Berufswelt und ein Feedback zu ihrem Können aus der Praxis, was die berufliche Orientierung unterstützt.

Praxispartner*innen formulieren konkrete Aufgaben und Problemstellungen aus ihrem Berufsfeld und ihrer Lebenswelt. Sie stellen Informationen, praktische Erfahrungen und berufliche Expertise als Hintergrundwissen für die Bearbeitung der Fragen in der Lehre zur Verfügung und geben ihre Einschätzung zur Umsetzbarkeit und Nützlichkeit von Ergebnissen. Nicht zuletzt bringen sie ihren Gestaltungswillen für nachhaltige Lösungen und ihr Interesse an einer Umsetzung und Erprobung von entwickelten Lösungen ein. Dafür können sie eigene Ressourcen wie Geld, Entscheidungsmacht und Zeit einsetzen. Im Gegenzug erhalten sie kostengünstig Ideen, Vorschläge für Problemlösungen, aber auch Fragen von Studierenden. Sie erhalten einen niedrigschwelligen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen einschließlich einer Qualitätssicherung durch die Lehrenden, was insbesondere für kleine Non-Profit-Organisationen und Unternehmen sehr hilfreich sein kann. Im Rahmen der Auftragsklärung und Problembearbeitung können sie die eigenen (Nachhaltigkeits-)Ziele und Prioritäten schärfen und mithilfe einer externen Sicht kritisch reflektieren.

Lehrende haben insgesamt die Verantwortung für den Lernprozess und schaffen einen passenden Rahmen für die Beteiligten. Dabei fungieren sie als Prozessbegleitung und als Lerncoach. Sie „übersetzen“ zwischen Studierenden und Praxispartner*innen. Sie sorgen gegenüber der Praxis für eine Qualitätssicherung und gegenüber den Studierenden für den Erwerb der Studien- und Prüfungsleistungen. Übergreifend können sie die Reflexion des Lernprozesses bei allen Beteiligten anleiten. Der Nutzen für die Lehrenden liegt in einer Verbesserung der Lehre aufgrund der Kompetenzorientierung und der höheren Motivation der Studierenden. Fachlich profitieren sie von vertieften Einsichten in praktische, gesellschaftliche Problemlagen, insbesondere in Bezug auf Voraussetzungen und Schwierigkeiten bei der Anwendung wissenschaftlichen Wissens. Weiterhin profitieren sie vom Innovationspotenzial, von Fragen und Anregungen von Studierenden und Praxispartner*innen und erhalten wertvolle Anregungen für Lehre und Forschung.

Phasen von Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

1.Phase: Initiierung und Identifizierung der Transferakteur*innen

Zu Beginn liegt die Herausforderung darin, Thema und Praxispartner*innen für eine Transferaktivität zu identifizieren. Lehrenden kommt in der Initiierungsphase eine besondere Rolle zu, denn sie sind für das Lehrangebot verantwortlich und können aufgrund ihrer Position Transferprozesse auch längerfristig planen und vorbereiten. Je nach Ausstattung und Erfahrung kann bei der Initiierung auch eine Transferstelle unterstützen. Als Ausgangspunkt bietet sich die Themenauswahl aufgrund des fachlichen Bezugs und der thematischen Ausrichtung der Studiengänge und Lehrveranstaltungen an. Eine Herausforderung besteht darin, die „richtigen“ Partner*innen zu finden. In einem (möglichst persönlichen) Austausch sollte ausgelotet werden, wie groß ihre Übereinstimmungen in Bezug auf den angestrebten Transfer sind. Es ist wichtig, dass die beteiligen Transferakteur*innen auch bezüglich Interessen, Kommunikation und Erfolgskriterien ausreichend große Schnittmengen aufweisen und Vertrauen für einen gemeinsamen Lernprozess aufbauen. Ein wesentlicher Schritt in dieser Phase ist die gemeinsame Beschreibung und Einordnung des Themas vor dem Hintergrund nachhaltiger Entwicklung.

2. Phase: Konzeption von Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

In dieser Phase werden die gemeinsamen Projekt- und Lernziele ausgehandelt und formuliert. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit den Nachhaltigkeitszielen und der angestrebten Nachhaltigkeitswirkung. Parallel dazu können die Beteiligten auch gruppenspezifische und individuelle Lernziele verfolgen. Die Lernziele sollten explizit gemacht werden, damit der angestrebte Lernprozess nachvollziehbar und nach wissenschaftlichen Maßstäben kritisierbar ist. Ausgehend von diesen gemeinsamen Lernzielen kann dann ein Lernprogramm oder Lehr-Lern-Konzept entsprechend der BNE-Prinzipien mit einem besonderem Fokus auf die Förderung der Kernkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung entwickelt werden. Dieses wird im nächsten Schritt methodisch operationalisiert, wobei die besondere Lernsituation mit Praxisakteur*innen berücksichtigt werden sollte. Dafür kommt eine Fülle an Methoden in Betracht, z.B. Fallstudien, Projektarbeiten, Praktika, Planung, Umsetzung und Auswertung von Interventionen, forschendes Lernen, problemorientiertes Lernen, selbstorganisiertes Lernen, Lernforen etc. (Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität 2018). Schließlich sollten für die Umsetzung Arbeitsschritte, ein Zeitplan und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Auch die Rollen der beteiligten Gruppen in den verschiedenen Lern- und Arbeitsschritten sind zu klären. Diese können durchaus unterschiedlich sein, so können beispielsweise Studierende auch die Rolle von Ideengeber*innen oder Lehrenden übernehmen, wenn es um die Entwicklung von Lösungsansätzen oder den Transfer von aktuellem, wissenschaftlichen Wissen an die Praxisakteur*innen geht.

3. Phase: Umsetzung der Transferaktivität im Lernprozess

In der Umsetzungsphase steht der gemeinsame Lern- und Entwicklungsprozess im Mittelpunkt. Bei Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre werden Theorie und Praxis miteinander verknüpft und wissenschaftliche Methoden und Theorien auf Fragen aus der Praxis angewandt. Das umfasst beispielsweise:

-       die Anwendung von Handbuchwissen und Methoden in einem Praxiskontext,

-       die Analyse praktischer Probleme mithilfe wissenschaftlicher Ansätze,

-       die wissensbasierte Entwicklung von Lösungsansätzen und Ideen für Praxisprobleme oder

-       die praktische Erprobung solcher Lösungsansätze und die Auswertung der Anwendungserfahrungen.

Ausgehend von der Problembeschreibung bringen die Transferakteur*innen ihr wissenschaftliches Wissen, Fachexpertise, Erfahrungswissen und Kreativität ein. Gerade aus der Perspektivenvielfalt und den unterschiedlichen Lösungsansätzen im Repertoire der Beteiligten können neue Ansätze als Neukombination und Verschmelzung verschiedener Ideen und Konzepte entstehen. Das Zusammentragen verschiedener Optionen und deren Auswahl erfordert einen Abwägungs- und Bewertungsprozess, wobei sowohl die Umsetzbarkeit als auch die Wirkung berücksichtigt werden. Mit der Aushandlung zwischen den Beteiligten werden mögliche Schwächen, Widerstände oder Hemmnisse aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, wodurch blinde Flecken und unerwünschte Nebenfolgen aus Sicht nachhaltiger Entwicklung in den Blick genommen werden. Dieses Vorgehen macht die Anwendung und Lösungsansätze „robuster“.

Stimme Transferexpert*in: „Also so wie wir das ja auch beschrieben haben, dass sich Lehrende, Studierende und Praxisakteure gemeinsam mit Problemen in der Lehre befassen und versuchen, es durch den Austausch ihres bestehenden Wissens zu lösen, da muss man ja nicht unbedingt neues Wissen durch Forschung generieren, sondern sich austauschen über das Wissen, das man hat, und das Wissen anwenden, damit ein Lerneffekt bei allen drei Gruppen zustande kommt.“ (Expertin 07)

4. Phase: Ergebnissicherung und Dokumentation im Lehr-Lern-Prozess

Die formale Ergebnissicherung besteht i.d.R. in der Prüfungsleistung der Studierenden. In kompetenzorientierten Prüfungsformaten können Fragen und Aufgabenstellungen an Erfordernissen der Praxis ausgerichtet werden, die Prüfungsleistung selbst wird dann nach wissenschaftlichen Kriterien bewertet. Die Ergebnisse sollten so aufbereitet werden, dass sie für die Zwecke der unterschiedlichen Transferakteurinnen nutzbar sind im günstigsten Fall wird die Prüfungsleistung gleichzeitig für die Dokumentation und Aufbereitung der Ergebnisse für die Praxis genutzt.

Der Erwerb von Kompetenz als die Verbindung von Wissen, Haltung und Fähigkeiten oder auch von Kopf, Herz und Hand wird häufig nicht explizit formuliert. Deshalb ist es wichtig, den Lernprozess mit den verschiedenen Facetten für alle Beteiligten in geeigneter Form zu dokumentieren. Eine Dokumentation kann die (möglichst kontinuierliche) Evaluation und Reflexion des Lernprozesses unterstützen, die durch die Lehrenden angeleitet wird. Hierbei ist zu beachten, dass es sich um einen Lern- und Bildungsprozess handelt, bei dem auch Fehler, Irrtümer und Sackgassen möglich sein müssen und sogar erwünscht sind, um Alternativen auszuloten und Lösungen, Arbeitsprozess und Lernergebnis zu reflektieren. Gerade aus Fehlschlägen können die Beteiligten lernen, wobei sich jedoch ein Spannungsfeld auftun kann, weil die Praxispartner*innen ein Interesse an einer konkreten Problemlösung und erst in zweiter Linie an einem Lernerfolg haben.

Querschnittsaufgabe Prozessmanagement

Die Lernprozesse bei Nachhaltigkeitstransfer sind offener, für die Beteiligten schwieriger zu kalkulieren und in der Regel mit größerem (zeitlichen) Aufwand für Studierende und Lehrende verbunden als bei Lehre, die im Wesentlichen auf kognitive Wissensvermittlung ausgerichtet ist. Deshalb sind sie mitunter nicht ganz reibungslos in Curricula sowie in Studien- und Prüfungsordnungen zu integrieren und erfordern ein Prozessmanagement. Die Hauptverantwortung hierfür liegt bei den Lehrenden.

Eine Aufgabe ist es, den Praxispartner*innen, die sich auf einen tendenziell ertragreichen, aber riskanten Lernprozess mit offenem Ausgang einlassen, die Sicherheit zu geben, dass ein Mindestmaß an Qualität und Lernerfolg erreicht werden kann. Eine weitere Herausforderung besteht darin, einen selbstorganisierten, selbstbestimmten und ergebnisoffenen Lernprozess in einer heterogenen Akteursstruktur zu ermöglichen und diesen in den strukturellen Rahmen von Studiengängen, Prüfungsordnungen, Modulen und ECTS-Leistungspunkten der Hochschule einzupassen. Um in diesem Spannungsfeld zu navigieren, müssen die Umsetzungsbedingungen entlang der strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen sorgfältig geprüft werden. Die externen Strukturbedingungen stecken grob Möglichkeiten und Grenzen von Nachhaltigkeitstransfer ab, schlagen aber eher selten unmittelbar auf konkrete Transferaktivitäten durch. Im Gegensatz dazu beeinflussen die organisatorischen Bedingungen an der jeweiligen Hochschule die Gestaltungsmöglichkeiten in beträchtlichem Maße.

-       Bezüglich der formellen Regelungen sind Curricula, Prüfungsordnungen und Regelungen für Praktika relevant. Da die Lernprozesse bei Nachhaltigkeitstransfer recht aufwändig sein können, können zeitliche Flexibilität und Spielräume bei den Prüfungsformaten hilfreich sein. Es sollten in diesem Rahmen Möglichkeiten gefunden werden, die Konsequenz von „Erfolg“ oder „Scheitern“ von Transferaktivitäten und -projekten in der Lehre so zu gestalten, dass den Studierenden auch bei einem „Scheitern“ die Lehrveranstaltung anerkannt wird. Wenn z.B. keine Lösung gefunden wird, einzelne Schritte nicht zu einem (gewünschten) Ergebnis führen oder die Kooperation sogar abgebrochen wird, können die Studierenden für diese Form des Gelingens oder Scheiterns nicht verantwortlich gemacht werden. Der Prüfungserfolg darf deshalb nicht daran festgemacht werden. Deshalb sollte die Dokumentation des Prozesses und dessen Reflexion neben den Ergebnissen als Prüfungsleistung bewertet werden.

-       In Bezug auf Hochschul-Governance können konkrete Ziele für Nachhaltigkeitstransfer sowie Hochschulstrategien für Transfer, nachhaltige Entwicklung, BNE etc. unterstützend für die Transferaktivitäten in der Lehre wirken.

-       Bei den Unterstützungsstrukturen sollte geprüft werden, ob Zeit, Lehrkapazität, Räume, Finanzmittel für Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre bereitgestellt und die Transferakteur*innen von der Hochschule durch Transferstellen, Nachhaltigkeitsbeauftragte, hochschuldidaktische Einrichtungen etc. unterstützt werden können. Da Nachhaltigkeitstransfer mit einigem Aufwand verbunden sein kann, könnten zusätzliche Mittel bereitgestellt werden z.B. für Fahrt- und Materialkosten oder studentische Mitarbeiter*innen. Ressourcen können auch explizit an Studierende und Praxispartner*innen vergeben werden.

-       Ein Schnittstellenmanagement für Nachhaltigkeitstransfer könnte die Kontaktanbahnung zwischen Hochschule und Praxis unterstützen. Wobei v.a. für kleinste und kleine regionale Unternehmen und Non-Profit-Organisationen Informations-, Such- und Anbahnungsformate notwendig sind, um studentisches Lernen und Praxispartner*innen miteinander zu verknüpfen. Ein solches Schnittstellenmanagement kann Studierenden, Lehrenden und Praxisakteur*innen gleichermaßen als Anlaufstelle und Informationsplattform dienen. Es könnte den Beteiligten Ressourcen zur Verfügung stellen, um deren Mehraufwand abzupuffern oder von sich aus aktiv die Vernetzung vorantreiben. Hier wären thematische, fächer- und studiengangsbezogene, räumliche und nach Branchen und gesellschaftlichen Handlungsfeldern sortierte Verknüpfungen denkbar. Ein Schnittstellenmanagement könnte auch Gelegenheiten für den Austausch und ein Kennenlernen schaffen. Die oben aufgeführten unterschiedlichen Sprachen, Lebenswelten und Erfolgslogiken der Beteiligten sollten durch ein Schnittstellenmanagement aufgegriffen und vermittelt werden. Als organisatorische Kompetenz ist weiterhin Prozess- und Netzwerkmanagement hilfreich. Ein Aspekt dabei ist eine Kultur des Erfahrungsaustauschs zwischen den Transferbeteiligten.

-       Wissenskommunikation kann die Suche nach Praxispartner*innen unterstützen und (gelungene) Beispiele für Nachhaltigkeitstransfer verbreiten.

Querschnittsaufgabe Reflexion des Lernprozesses

Eine kritische, systematisch angeleitete und fachlich basierte Auseinandersetzung mit den Erfahrungen, die im Lernprozess gemacht wurden, und deren Bewertung ist ein zentrales Element, um eine gemeinsame Lernerfahrung in wissenschaftliche bzw. wissenschaftsbasierte Erkenntnisse und Kompetenzentwicklung zu überführen. Auf Basis einer (selbst-)kritischen Reflexion können Auswahl- und Richtungsentscheidungen transparent gemacht und begründet werden, eine zentrale Anforderung an nachhaltige Entwicklung.

Reflexion erhöht die Qualität des Lernprozesses in den verschiedenen Phasen. Dies gilt für die Relevanz der ausgewählten Nachhaltigkeitsthemen in der Initiierungsphase, den potenziellen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung, Risiken und mögliche Nebenfolgen der entwickelten Ansätze in der Phase der Umsetzung und eine Abschätzung der tatsächlichen Nachhaltigkeitswirkung des Lernprozesses in der Phase der Ergebnissicherung. Auch Misserfolge bei einzelnen Umsetzungsschritten oder ein „Scheitern“ des gemeinsamen Vorhabens oder des geplanten Projekts sollten, möglichst mit den Praxispartner*innen zusammen, ausgewertet werden. Gerade aus solchen Erfahrungen lässt sich viel lernen. Die Reflexion kann jede Akteursgruppe für sich allein vornehmen. Anspruchsvoller, aber wahrscheinlich ertragreicher ist eine gemeinsame Auswertung der verschiedenen Phasen des Lernprozesses. Lehrende sind in erster Linie für die Anleitung der Reflexion und eine Evaluation der Lernergebnisse zuständig und können dafür wissenschaftliche Methoden einbringen. Für die Studierenden stehen die Auswertung ihrer Lernerfahrungen im Vordergrund und das Bewusstmachen der erworbenen Kompetenzen. Die Praxispartner*innen können eine Rückmeldung zu den wissensbasierten Beiträgen (Wissen, Fragen, Methoden) von Studierenden und Lehrenden geben und neue Fragen und Wissensbedarf ableiten.

1.1.3. Übersichtsmatrix zu Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Die Aufgaben bei Nachhaltigkeitstransfer lassen sich mit den strukturell-organisatorischen Rahmenbedingungen in Beziehung setzen. Mittels einer Matrix können die Punkte, die in den vier Phasen zu beachten sind, und die Querschnittsaufgaben Prozessmanagement und Reflexion übersichtlich miteinander verknüpft werden. Anhand dieser Matrix können die Nutzer*innen des Leitfadens laufende oder geplante Transferaktivitäten für einzelne Phasen analysieren: Wo stehe ich? Wo will ich hin? Welche Ziele verfolge ich mit Nachhaltigkeitstransfer? Daraus ergeben sich konkrete Ansatzpunkte für die Gestaltung, Weiterentwicklung und Verbesserungen von Nachhaltigkeitstransfer.

Mit Hilfe der Übersichtsmatrix kann Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre in seinen höchst unterschiedlichen Ausprägungen, Formaten und Komplexitätsgraden und Akteursvielfalt beschrieben werden (Tabelle 4). Sie kann als eine Heuristik genutzt werden, um Ansatzpunkte zu identifizieren, wie Nachhaltigkeitstransfer in herkömmliche Lehrkonzepte integriert bzw. ausgeweitet werden kann.


Tabelle 4: Übersichtsmatrix über Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre

Phase Inhalte, Themen, Akteur*innen Rahmenbedingungen Prozessmanagement Reflexion Checkliste mit Fragen
1. Initi-ierung -    Identifizierung von Themen

-    Identifizierung der Transferpartner*innen

-    Rolle der Studierenden im Lernprozess klären

-    Rolle der Praxispartner*innen

-    Kontaktaufnahme: inhaltlicher Austausch

-    Gemeinsame Beschreibung des Problems und Lernbedarfs

-    Transfer-, Nachhaltigkeits-, Lehr-Strategie der Hochschule

-    Lernprozess verorten in Curriculum, Lehrplan

-    Interesse Praxis

-    Ressourcenverfügbarkeit + Anreizsysteme prüfen

-    Unterstützungsstrukturen nutzen

-    Kontaktanbahnung zwischen verschiedene Gruppen managen

-    Einbezug von Studierenden organisieren

-    Rahmen für Lehrprozess klären

-    Diskussionsrahmen schaffen: transparente Kommunikation, Vertrauensbildung

-    Nachhaltigkeitsverständnisse offenlegen und diskutieren

-    Präzisierung des Nachhaltigkeitsproblems, Klärung der Relevanz

-    Austausch über jeweilige Interessen am Nachhaltigkeitstransfer und Lernprozess

-    Klärung der inhaltlichen Schnittmenge

·    Wer ist dabei? Wer sollte dabei sein?

·    Was ist das Thema des Nachhaltigkeitstransfers? Warum ist es relevant?

·    Was wollen die Beteiligten lernen und wie?

·    Sind die gemeinsamen Interessen am Lernprozess geklärt und transparent?

·    Welche Rolle übernehmen die Studierenden im Lernprozess, welche die Praxisakteur*innen?

·    Wird das Nachhaltigkeitsproblem, -thema gemeinsam beschrieben?

2. Kon-zeption -    Formulierung gemeinsamer und gruppenbezogener Projekt- und Lernziele

-    Lehr-Lern-Konzept entwickeln (BNE-Ansätze)

-    Didaktik, Lern-/Transferformate auswählen (z.B. forschendes Lernen)

-    Zeit- und Ressourcenplan, Verantwortlichkeiten

-    SPO und Prüfungsformate abklären

-    Zeitliche Verfügbarkeit der Beteiligten

-    Ressourcenbedarf

-    Unterstützungsstrukturen für Netzwerkmanagement und Kommunikation nutzen

-    Organisatorischen Rahmen klären (Modul, Projekt, Abschlussarbeit…)

-    Kommunikation & Moderation zwischen Beteiligten

-    Zeit- und Arbeitsaufwand für Studierende und Praxispartner*innen abschätzen

-    Raum für Reflexion schaffen

-    Ressourcen einwerben & nutzen

-    angestrebten Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung darlegen (ggfs. Wirkungslogik)

-    Aushandeln von gemeinsamen und gruppenbezogenen Lernzielen

-    Abschätzung von Risiken des Lernprozesses

-    Rollenklärung in der Gruppe

·    Worin besteht der Beitrag des Transfers zu nachhaltiger Entwicklung?

·    Haben die Beteiligten gemeinsame Ziele für den Lernprozess formuliert?

·    Können sich Beteiligte auf Lehr-Lern-Konzept und Aufgabenverteilung einigen?

·    Ist die Didaktik konzipiert (BNE)?

·    Gibt es passende Lehrformate und Ressourcen?

·    Ist ein geeigneter Rahmen für Diskussion und Reflexion geschaffen?

3. Um-setzung -    Lernprozess: Theorie & Praxis verknüpfen bei Analyse, Ideenentwicklung

-    Gemeinsame Entwicklung von Ergebnissen, Lösungsansätzen

-    Ggfs. Test, praktische Erprobung

-    Bezug zum Forschungsstand prüfen

-    Netzwerk-, Schnittstellenmanagement der Hochschule nutzen

-    Interne Kommunikation: Moderation, ggfs. Konfliktmanagement

-    Überprüfung der Umsetzung des Lehr-Lern-Konzepts

-    Beteiligte beim Lernprozess unterstützen, Raum für Reflexion schaffen

-    Externe Kommunikation zu Nachhaltigkeitstransfer

-    Verschiedene Perspektiven, Wissen, Erfahrungen nutzen (Wechselseitigkeit, Augenhöhe)

-    Bewertung des Lernprozesses (Was lernen wir?)

mögliche Fehlschläge, Misserfolge auswerten

·    Wird der Lernprozess entsprechend des Lehr-Lern-Konzepts umgesetzt?

·    Können die Beteiligten ihre Kompetenzen, Wissen, Erfahrungen einbringen?

·    Bringt der Lernprozess einen Mehrwert für die Partner*innen? Worin besteht der?

4. Er-gebnis-siche-rung -    Dokumentation, Aufbereitung der Ergebnisse aus dem Lernprozess für weitere Nutzung

-    Kompetenz- & transferorientierte Prüfungsformate &Studienleistungen

-    Evaluation und Wirkungsanalyse

-    SPO als Rahmen für kompetenzorientierte Prüfungsformate

-    Ggfs. Bescheinigung der Beteiligung, des Lernerfolgs der Praxispartner*innen

-    Prüfungsleistung für Ergebnisdokumentation nutzen

-    Wissenstransfer durch Studierende organisieren und begleiten

-    Aufbereitung von studentischen Ergebnissen für Praxispartner*innen (und ggfs. Forschung)

-    Kommunikation der Ergebnisse

-    Reflexion der individuellen Lern- und Erkenntnisprozesse

-    Auswertung des gemeinsamen Lernerfolgs und von Lücken

-    Schlussfolgerungen für weiteres Lernprozesse

·    Können die Studierenden Prüfungsleistungen erbringen?

·    Werden die Ergebnisse für die Arbeit von Praxis und Forschung gesichert und aufbereitet?

·    Gibt es eine Evaluation, Reflexion, Wirkungsanalyse des Lernprozesses? Wer ist verantwortlich?

1.2. Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

1.2.1. Transdisziplinarität und Nachhaltigkeitsausrichtung für Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung bedeutet, dass Akteur*innen aus der Praxis in die Forschung einbezogen werden und mit dem Vorhaben ein Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung in einem gesellschaftlichen Kontext zumindest teilweise jenseits der Hochschule angestrebt wird. Durch den Transfer soll die Handlungsfähigkeit der Beteiligten, Lösungen für Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung zu entwerfen und umzusetzen, gestärkt werden. Dieses Wissen soll dann an Dritte weitergegeben werden können. Zentrale Akteur*innen sind einerseits die beteiligten Forscher*innen und andererseits Praxispartner*innen, die zur Bearbeitung des Forschungsgegenstands beitragen können. Diese können ein breites Spektrum umfassen, z.B. Beteiligte, Betroffene, Entscheidungsträger*innen oder Expert*innen. Das nachfolgende Kapitel bezieht sich überwiegend auf transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung, weil diese eine hohe Übereinstimmung mit Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung (Nachhaltigkeitsausrichtung und Transdisziplinarität) aufweist. Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung ist ein mittlerweile gut ausgearbeiteter Forschungsstrang, so dass auf bewährte Fachliteratur zurückgegriffen werden kann.

Stimme Transferexpert*in: „Wenn er [Forscher] noch besser ist, dann sagt er, die Forschung ist ja nicht nur für mich, sondern ist auch für die Wirtschaft und Gesellschaft und es macht keinen Sinn, wenn ich jetzt mein Forschungsprojekt beende, der Prototyp steht in der Ecke rum, sondern er soll eine Anwendung finden.“

Nachhaltigkeitstransfer mit dem Komplexitätsgrad Angebotsorientierung entspricht einem traditionellen Verständnis von Technologie- und Wissenstransfer (vgl. Kap. 3), z.B. die Erforschung von Technologien zur Nutzung von Holz als nachwachsender Ressource anstelle nicht-erneuerbarer Ressourcen in den Ingenieurwissenschaften und die Anwendung der Techniken in Unternehmen. Ein solch einseitiger Transfer entspricht nicht dem Verständnis transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung, leistet aber einen notwendigen Beitrag zur Verbreitung von Nachhaltigkeitswissen. Beim Komplexitätsgrad des wechselseitigen Austausches werden Praxisakteur*innen bei einzelnen Schritten des Forschungszyklus‘ beteiligt, z.B. geben sie einen Input oder eine Rückmeldung zum Nachhaltigkeitsproblem, das untersucht werden soll, steuern Fachexpertise für die Entwicklung von Lösungen bei, bewerten die Ergebnisse aus Praxissicht und geben Hinweise für die Implementierung. Beim Komplexitätsgrad Ko-Produktion entwickeln Praxisakteur*innen und Forscher*innen gemeinsam und auf Augenhöhe – womit gemeint ist, dass die Beiträge aller prinzipiell als gleichwertig angesehen werden – Nachhaltigkeitsinnovationen oder -lösungen. Dies umfasst die gemeinsame Problembeschreibung und Konzeption des Forschungsvorhabens (Ko-Design), die Bearbeitung des Forschungsgegenstands (Ko-Produktion) sowie die gemeinsame Auseinandersetzung darüber, wo und wie die Erkenntnisse in Praxis und Wissenschaft für eine nachhaltige Entwicklung genutzt werden können. Beim Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung liegt der Fokus auf der Anwendungsorientierung, dem Test, der Erprobung, den Bedingungen für die Implementierung und auf der Reflexion dieser praxisbezogenen Erfahrungen im Forschungsprozess.

Beispiel für Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung: Gitarrenbau ohne Tropenholz

In Gitarren, aber auch in anderen Instrumenten, werden traditionell tropische Holzarten eingesetzt. Einige von diesen unterliegen aufgrund verschärfter Artenschutzmaßnahmen zunehmenden Handelsbeschränkungen. Mit dem Wunsch Tropenhölzer zu ersetzen, initiierte die Bestacoustics Reinhardt GmbH aus Tübingen – ein Hersteller und Vertrieb von Gitarren – ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Ziel war es, unter Verwendung von einheimischen Hölzern klanglich an Gitarren aus Arten wie Mahagoni oder Palisander heranzukommen, sodass man zukünftig auf tropische Hölzer verzichten kann. Hierfür wurde ein thermisches Modifikationsverfahren zur Verbesserung und Optimierung der Klangeigenschaften heimischer Laubhölzer entwickelt. Die tropischen Hölzer im Gitarrenkorpus konnten so durch modifizierte heimische Hölzer substituiert werden. Das Ergebnis wurde auf der Musikmesse in Frankfurt 2017 präsentiert: akustische Gitarren, die ohne Tropenholz gefertigt werden, jedoch genauso klangstark wie herkömmliche Gitarren sind. Unter dem Markennamen rECOtimber werden seit Ende 2017 diese tropenholzfreien Gitarren hergestellt und vertrieben.

Pfriem, Alexander (2018). Die Verwendung von Tropenholz im Musikinstrumentenbau – Chancen für alternative Materialien? In: Holztechnologie 59 (5/2018), S. 15-20.

1.2.2.   Operationalisierung von Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

Anhand der vier Phasen werden die relevanten Aufgaben von Nachhaltigkeitstransfer dargestellt.

1. Phase: Initiierung von Nachhaltigkeitstransfer

Auch in der Forschung besteht die Schwierigkeit darin, die richtigen Transferpartner*innen zu identifizieren und zusammenzubringen. Kristallisationspunkt kann ein gesellschaftliches Nachhaltigkeitsproblem sein. Schrittweise können dann die Akteur*innen mit den für die Lösung erforderlichen Kapazitäten und Zugängen ausgewählt und hinzugezogen werden. Hierbei sind Sondierungen und Netzwerkarbeit hilfreich, z.B. Unternehmertreffen oder andere sektorspezifische Austauschformate. Ein anderer Zugang können bereits bestehende Praxis-Forschungs-Netzwerke sein, die sich bewährt haben und in denen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist.

Im Kern der Initiierungsphase steht eine gemeinsame Problembeschreibung, wobei eine Übersetzung von gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsproblemen, die in der Praxis beschrieben werden, in wissenschaftliche Fragestellungen der Schlüssel sind. Bei diesem Schritt der inhaltlichen Zusammenarbeit lässt sich bereits testen, wie gut die verschiedenen Transferpartner*innen miteinander zusammenarbeiten können. Hierbei zeichnet sich in der Regel bereits ab, ob die jeweiligen Interessen an der konkreten Transferaktivität miteinander kompatibel sind und ob es eine ausreichende Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit gibt.

2. Phase: Konzeption der Transferaktivität – Forschungsdesign

Zentrale Aufgabe dieser Phase ist die gemeinsame Formulierung von Forschungszielen, die einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten (sollen). Die Begründung der Nachhaltigkeitsziele kann sowohl aus der Praxis als auch aus der Wissenschaft heraus erfolgen, gegebenenfalls unter Berufung auf politisch gesetzte Nachhaltigkeitsziele. Die gemeinsame Argumentation sollte sowohl in der Wissenschaft (z.B. in Form von Hypothesen) als auch in der Praxis (z.B. Nutzen für die konkrete Problemlösung) tragfähig sein. Abgeleitet von den Zielen wird in der Konzeption auch die angestrebte Nachhaltigkeitswirkung(en) bestimmt. Die Transferakteur*innen können neben den gemeinsamen Transferzielen auch eigene Interessen verfolgen, z.B. Nachweis von Forschungsleistungen in Form begutachteter Publikationen, oder Verbesserung der Organisationsleistung, z.B. einer Kommune durch verbesserte Planung oder eines Unternehmens durch Nachhaltigkeitsinnovationen.

Entsprechend der gemeinsamen Transferziele entwickeln die Transferpartner*innen ein Forschungsdesign, einschließlich Arbeits- und Ressourcenplan, Methodenwahl und Verwertungskonzept. Insgesamt ist die Praxiskomponente im Forschungsprozess wichtig, also Aspekte wie Implementierung, Test, Erprobung, Anwendung. Das transferbezogene Forschungsdesign kann von einem niedrigen Komplexitätsgrad wie dem Test entwickelter Techniken und Verfahren unter praktischen Bedingungen bis hin zu einem hohen Komplexitätsgrad mit Formaten wie Aktionsforschung oder Reallaboren reichen (Schneidewind & Singer-Brodowski 2014; Wagner & Grunwald 2015). In organisatorischer Sicht muss geklärt werden, wer welche Ressourcen (Zeit, Expertise, Räume, Instrumente, Geld) in den Forschungsprozess einbringt.

3. Phase: Umsetzung der Nachhaltigkeitsforschung

In der Phase der Umsetzung geht es um die gemeinsame Wissensproduktion, diese kann Analyse, Konzeption und Entwicklung sowie bei einer Anwendung eine praktische Erprobung solcher Lösungsansätze durch Test, Intervention oder Implementierung umfassen. Insbesondere durch die Anwendung und Umsetzung werden Theorie und Praxis miteinander verknüpft, die praktische Problemlösung, die konkreten Anwendungs- und Umsetzungsbedingungen, Voraussetzungen und Aufwand der Implementierung sowie Nutzen, Wirkungen und Nebenwirkungen rücken dabei in den Fokus von Nachhaltigkeitstransfer und machen dessen spezifischen Charakter im Kontext transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung aus.

Für diesen Zweck sind Methoden geeignet, die für die Praxispartner*innen zugänglich und praktikabel sind und keine hohen disziplinspezifischen Voraussetzungen mit sich bringen. Eine solche Methode ist beispielsweise die Situationsanalyse, bei der die verschiedenen Wissensbestände, aber auch Bewertungen durch ein Mapping zusammengeführt werden (Clarke 2012; Thomas & Wehinger 2009). Der Vorteil dieser pragmatischen, induktiven Herangehensweise ist eben der Verzicht auf eine (disziplinär geprägte) Leittheorie. Für die Erarbeitung einer Situationsanalyse kann beispielsweise die Konstellationsanalyse als interdisziplinäres Brückenkonzept für die Nachhaltigkeits- und Innovationsforschung genutzt werden (Schön et al. 2007). Ein bislang in der transdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung noch wenig beleuchteter Aspekt ist die Implementierung von Konzepten und Lösungen und die gemeinsame Auswertung der dabei gemachten Erfahrungen. Die Transferperspektive kann genau diesen Aspekt stärken. Sie könnte zu einer konzeptionellen Ausarbeitung von „Ko-Implementierung“ beitragen, was die bisher deutlich weiter entwickelten Konzepte von Ko-Design und Ko-Produktion abrunden würde.

Hier ist der konzeptionelle Bezug auf transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung hilfreich, die u.a. darauf verweist, dass die Ergebnisse der gemeinsamen Wissensproduktion für die jeweilige Verwendung sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis entwickelt werden, wodurch spezifische Lernprozesse angestoßen werden können (Bergmann et al. 2010; Defila & Di Giulio 2006).

4. Phase: Ergebnissicherung und -aufbereitung für die (praktische) Nutzung

Bei Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung achten die Beteiligten, anders als bei der Lehre (vgl. 5.3), stärker auf die Ergebnissicherung, denn diese stellt in der Regel das Ziel von Nachhaltigkeitsforschung dar, bei der es um die Erzeugung von – möglichst übertragbaren – Wissen geht. Sowohl die beteiligten Forscher*innen als auch die Geldgeber*innen der Drittmittelforschung legen Wert auf die wissenschaftliche Verwertung der Ergebnisse, vorrangig in Form wissenschaftlicher Publikationen. Hinzu kommen Forschungsberichte für die Geldgeber*innen und quantitative Indikatoren wie Patentanmeldungen. Durch Nachhaltigkeitstransfer wird der Blick stärker auf die Nutzbarmachung der Ergebnisse für die Praxis gelenkt. Dies können konkrete Produkte und Dienstleistungen, Geschäftsmodelle, Praxisprojekte, Konzepte, Pläne, Leitfäden, Transferpublikationen sowie weiterführende Ergebnisformate wie Nachhaltigkeitsstrategien und -leitbilder sein. Auch öffentliche Erklärungen und Stellungnahmen, die gemeinsam von Wissenschaft und Praxis abgegeben werden, oder Beratungsleistungen gehören dazu. Solche Ergebnisformate sind in der Wissenschaft eher ungewohnt und müssen mit den Praxispartner*innen gemeinsam erstellt werden, um einen hohen Nutzen für die Anwendung sicherzustellen.

Für Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung stellt sich die Aufgabe der Evaluation und Wirkungsanalyse, was wissenschaftlich äußerst anspruchsvoll ist. So stellen Kaufmann-Hayoz et al. fest „Es besteht Einigkeit darüber, dass außerwissenschaftliche Wirkungen von Forschung nicht unmittelbar und direkt als Folge von Diffusionsleistungen der Forschenden eintreten, sondern ein Ergebnis komplexer und nicht-linearer (Kommunikations-)Prozesse sind, bei denen außer den Forschenden sowohl weitere Akteure, insbesondere Knowledge Broker, wie auch verschiedene situative Faktoren eine Rolle spielen.“ (Kaufmann-Hayoz et al. 2016, S. 301) Die Formulierung einer Wirkungslogik oder Wirkungskette durch die Transferakteur*innen könnte zu einer systematischeren Wirkungsbilanzierung beitragen (Kurz & Kubek 2015), ist aber jeweils projektspezifisch zu operationalisieren und sehr aufwändig. Kaufmann-Hayoz et al. schlagen eine Differenzierung nach Ergebnistypen vor (außerwissenschaftliche Ergebnisdarstellung; Leitfäden und Tools; Veränderungen im Feld), um verschiedene Wirkungen einordnen zu können (Kaufmann-Hayoz et al. 2016). Weiterhin können verschiedene Wirkungsgrade unterschieden werden (vgl. 4.2.2 Nachhaltigkeitsausrichtung von Transfer). Nachhaltigkeitstransfer kann an diese Überlegungen anknüpfen und die Bewertung und Einschätzung der Wirkung durch die beteiligten Praxispartner*innen als besondere Stärke einbringen.

Querschnittsaufgabe Prozessmanagement

Die Spielräume der Transferakteur*innen in der Forschung werden durch die jeweiligen Rahmenbedingungen festgelegt (vgl. Tabelle 1). Eine erste Anforderung an das Prozessmanagement beim Nachhaltigkeitstransfer ist die Klärung der jeweiligen Strukturbedingungen und hochschulinternen Forschungsbedingungen. Besonders relevant ist dabei die Akquise von Forschungsgeldern, in der Regel Drittmittel. Die Transferpartner*innen müssen sich dafür meist mit einem Antrag bewerben. Die Identifizierung passender Ausschreibungen und Förderprogramme sowie der Erfahrungen in der Antragstellung ist daher eine wichtige Aufgabe. Hierbei kann ein Schnittstellenmanagement (oder auch eine Forschungsabteilung, eine Transferstelle etc.) die Transferakteur*innen wirkungsvoll unterstützen. Nicht zuletzt kann die Außenkommunikation zur Transferaktivität durch die Kommunikationsabteilung der Hochschule unterstützt werden.

Entsprechend der Phasen beim Nachhaltigkeitstransfer (vgl. Tabelle 3) kristallisieren sich folgende wichtige Aufgaben für das Prozessmanagement heraus. In der Initiierungsphase sind das Management der Kontaktanbahnung sowie eine Kommunikation mit und zwischen den potentiellen Transferakteur*innen wichtig, um zu Beginn eine Kommunikations- und Kooperationskultur zu etablieren und Vertrauen aufzubauen. Dies kann sehr zeitaufwändig sein. In der Konzeptionsphase steht in der Regel die Antragstellung im Vordergrund, die ebenfalls einer Unterstützung in Form von Netzwerkmanagement, Kommunikation, Moderation und Übersetzung zwischen den verschiedenen Fachsprachen bedarf. In der Phase der Umsetzung ist die Organisation des Austausches und der Reflexion wichtig, damit die verschiedenen Akteur*innen und Arbeitspakete nicht aneinander vorbei arbeiten. Die Transferpartner*innen benötigen außerdem Unterstützung und Begleitung bei denjenigen Aktivitäten, die nicht unmittelbar im Bereich ihrer Expertise liegen, z.B. praktische Anwendung und Umsetzung bei Wissenschaftler*innen oder Analyse und Konzeption bei den Praxispartner*innen. In der Phase der Ergebnissicherung ist insbesondere die Kommunikation nach außen anspruchsvoll, weil ungewohnte Kommunikationskanäle bedient werden müssen, z.B. Transferpublikationen der Wissenschaftler*innen.

Querschnittsaufgabe Reflexion

Reflexion ist für Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung ein Erfolgsfaktor. Die Begründung der Nachhaltigkeitswirkung der Transferaktivität sollte übergreifend zwischen Wissenschaft und Praxis erfolgen, um „robust“ gegenüber Kritik aus beiden Domänen zu sein. Die Formulierung von Transferziele und Forschungsfragen ist bei heterogenen Akteur*innen anspruchsvoll und der Erfolg keinesfalls gewährleistet. Gestützt auf Moderation und Kommunikation ist es Aufgabe der Reflexion, die verschiedenen Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstand, die Problemlösung und deren Implementierung für alle Beteiligten deutlich zu machen. Die besondere Herausforderung liegt darin, mögliche Unterschiede oder Widersprüchen konstruktiv für Lösungsansätze fruchtbar zu machen.

Zentrales Thema für die Reflexion in allen Phasen ist die Diskussion darüber, wie die Transferaktivität zu nachhaltiger Entwicklung beiträgt (in welchem Umfang bzw. mit welcher Wirkung) und was mögliche Risiken oder Unsicherheiten der vorgeschlagenen Lösungen sowie unbeabsichtigte Nebenfolgen sein können. Diese Reflexion transdisziplinär zu führen, bedeutet auch, dass nicht eine Begründungslogik – z.B. die der Wissenschaft – dominiert, sondern dass verschiedene Geltungsansprüche argumentativ zusammengeführt werden. Das schließt Abwägungsprozesse und Bewertung mit ein, die zwischen den Transferakteur*innen verhandelt werden müssen. Eine wissensbasierte Anleitung, Interessenneutralität und Moderation sind wichtige Elemente einer gelungenen Reflexion. Wichtig ist, die Praxispartner*innen dabei mitzunehmen und Formate zu finden, die ihnen zeitlich und fachlich gerecht werden.

1.2.3.   Übersichtsmatrix zu Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

Die Anforderungen an Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung lassen sich in der Übersichtsmatrix (Tabelle 5) zusammenführen. Dabei werden die Aufgaben in den vier Phasen von Nachhaltigkeitstransfer den Querschnittsaufgaben Prozessmanagement und Reflexion gegenübergestellt. Für die einzelnen Phasen können so kritische Punkte identifiziert werden und ermöglichen eine Einschätzung der jeweiligen Transferaktivität. Letztere wird durch die Zusammenstellung von Fragen als eine Art „Checkliste“ erleichtert.

             

Tabelle 5: Übersichtsmatrix über Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung

Phase Inhalte, Themen, Akteur*innen Rahmenbedingungen Prozessmanagement Reflexion Checkliste mit Fragen
1. Initiierung -    Identifizierung der Akteur*innen: Forschende + Praxis (Experten, Betroffene, Anwender etc.)

-    Identifizierung von Nachhaltigkeitsthemen für die Forschung

-    Gemeinsame Beschreibung des Nachhaltigkeitsproblems und Forschungsbedarfs

-    Ggfs. Formulierung von Hypothesen

-    Ausschreibungen, Förderprogramme

-    Forschungsauftrag + -anreiz der Partner*innen klären

-    Ressourcenverfügbarkeit + Anreizsysteme prüfen

-    Unterstützungsstrukturen kennen + nutzen

-    Kontaktanbahnung zwischen verschiedene Gruppen organisieren

-    Kommunikations- und Kooperationskultur etablieren

-    Nachhaltigkeitsziel der Forschung formulieren + begründen

-    Relevanz der Forschung begründen

-    Austausch über jeweilige Interessen am Nachhaltigkeitstransfer und Forschungsergebnis

-    Klärung der inhaltlichen Schnittmenge

·    Wer ist dabei? Wer sollte dabei sein?

·    Was ist das Thema des Nachhaltigkeitstransfers? Warum ist die Forschung relevant?

·    Welches Nachhaltigkeitsproblem soll gelöst werden? Wem nützt das?

·    Sind die gemeinsamen Forschungsinteressen geklärt + transparent?

·    Wird das Nachhaltigkeitsproblem, -thema gemeinsam beschrieben?

·    Wer übernimmt welche Rolle?

2. Kon-zeption -    Gemeinsame Formulierung der Forschungsfrage

-    Entwicklung eines transdisziplinären Forschungsdesigns

-    Auswahl von Forschungsmethoden

-    Zeit- und Ressourcenplan, Verantwortlichkeiten

-    zeitliche Verfügbarkeit der Beteiligten

-    Ressourcenbedarf

-    Verfügbarkeit von Forschungsressourcen prüfen

-    Unterstützungsstrukturen für Netzwerkmanagement + Kommunikation nutzen

-    Antragstellung managen, Ressourcen einwerben

-    Kommunikation, Moderation und Übersetzung zwischen Fachsprachen

-    Zeit- und Arbeitsaufwand für Beteiligte abschätzen

-    Raum für Reflexion schaffen

-    angestrebten Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung darlegen (ggfs. Wirkungslogik)

-    Aushandeln gemeinsamer Forschungsziele

-    Abschätzung von Risiken, blinden Flecken, Nebenfolgen in Bezug auf Nachhaltigkeit

-    Rollenklärung in der Gruppe

·    Worin besteht der Beitrag des Transfers zu nachhaltiger Entwicklung?

·    Haben die Beteiligten gemeinsame Forschungsziele formuliert?

·    Können sich Partner auf ein Forschungsdesign und Aufgabenverteilung einigen?

·    Gibt es passende Methoden + Ansätze?

·    Ist ein geeigneter Rahmen für Diskussion und Reflexion geschaffen?

3. Um-setzung -    Schwerpunktsetzung im Forschungsprozess:

·         Analyse, Konzeption, Entwicklung

·         praktische Erprobung, Test, Intervention, Implementierung

·         Wissensproduktion für die Praxis

-    Möglichkeiten der Partner*innen realistisch einschätzen

-    Forschungs-, Transfer, Schnittstellenmanagement der Hochschule nutzen

-    Management der Finanzierung

-    Interne Kommunikation, Netzwerkmanagement, Moderation, ggfs. Konfliktmanagement

-    Qualitätssicherung im Forschungsprozess

-    Raum für Reflexion schaffen

-    Externe Kommunikation zu Nachhaltigkeitstransfer & Transparenz

-    Verschiedene Perspektiven, Wissen, Expertise, Erfahrungen nutzen für gemeinsame Problemlösung

-    Selbstkritische Bewertung des Forschungsprozesses

-    Nachhaltigkeitsorientierung der Forschung prüfen, praktischen Nutzen begründen

-    mögliche Fehlschläge auswerten

·    Wird der Forschungsprozess entsprechend des Designs umgesetzt?

·    Können die Beteiligten ihre Kompetenzen, Wissen, Erfahrungen einbringen?

·    Worin besteht der Mehrwert der Forschung? Wem nützen die Ergebnisse und wie?

4. Er-gebnis-siche-rung -    Dokumentation, Aufbereitung der Forschungsergebnisse für Wissenschaft und Praxis

-    Transferpublikationen

-    Evaluation und Wirkungsanalyse

-    Vorgaben für Forschungsberichte, Veröffentlichungspflicht

-    Vorgaben für Evaluation

-    Pflichtveröffentlichungen für Ergebnisdokumentation nutzen

-    Aufbereitung von Forschungsergebnissen für Praxisakteur*innen

-    Öffentlichkeitsarbeit, Wissenskommunikation zu Ergebnissen

-    Reflexion einzelner Forschungsergebnisse (Arbeitspakete etc.)

-    Bewertung der gemeinsamen Forschungsergebnisse und der Nachhaltigkeitswirkung

-    Auswertung von Lücken, Risiken

-    Schlussfolgerungen zur Übertragbarkeit der Ergebnisse

·    Werden die Forschungsergebnisse dokumentiert?

·    Wie werden die Ergebnisse aufbereitet? Für wen? Wer kann damit weiterarbeiten?

·    Gibt es eine Evaluation, Reflexion, Wirkungsanalyse der Forschung? Wer ist verantwortlich?

2.   Zusammenfassung und Fazit: Transfer als ein Treiber für nachhaltige Entwicklung an Hochschulen?

2.1.  Zusammenfassung

Transfer wird von vielen Akteur*innen und Hochschulen praktiziert und für immer mehr Hochschulen gehört Transfer zum Selbstverständnis und ist Teil der Hochschulstrategie. Unter Transfer verstehen wir den Austausch von Technologien, Wissen, Ideen und Erfahrungen zwischen Hochschulen und Akteurinnen aus der Praxis. Zur Praxis zählen Wirtschaft, Politik, Verwaltungen, Kommunen, Verbände und andere zivilgesellschaftliche Organisationen, Initiativen, Bildungseinrichtungen und Bürger*innen. Der Austausch in Praxis-Hochschul-Kooperationen dient vorrangig der Bearbeitung praktischer Probleme aus der Gesellschaft. Dabei werden alle Handlungsfelder der Hochschule einbezogen: Lehre, Forschung und Third Mission.

Unter Nachhaltigkeitstransfer verstehen wir solche Transferaktivitäten, deren Ziel ein Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung in der Gesellschaft ist. Nachhaltigkeitstransfer ist charakterisiert durch (explizite) Nachhaltigkeitsziele der einzelnen Transferaktivitäten und eine Beschreibung der jeweils angestrebten Nachhaltigkeitswirkung. Ergebnisse von Nachhaltigkeitstransfer sind a) Beiträge zu nachhaltiger Entwicklung wie Modelle, Projekte, Technologien, Konzepte, Lösungen, Tests oder Diskussionen über Nachhaltigkeit und b) die Stärkung der Kernkompetenz aller Beteiligten für nachhaltige Entwicklung durch gemeinsame Lernprozesse.

Das Verbundprojekt HOCHN hat ein gemeinsames Nachhaltigkeitsverständnis entwickelt: Das Nachhaltigkeitsprinzip wird als sozial-ökologische, ökonomische und kulturelle Aufgabe verstanden, die natürlichen Lebensgrundlagen für alle Menschen weltweit einschließlich der nachfolgenden Generationen zu erhalten. Nachhaltige Entwicklung umfasst einen offenen, pluralen Suchprozess mit vielfältigen Zielkomponenten, der eine gesellschaftliche Transformation entsprechend dieses normativen Prinzips anstrebt und dabei alle gesellschaftlichen Bereiche integriert (Vogt et al. 2020).

Hochschulen kommt dabei eine Reflexionsaufgabe und Impulsfunktion für die Nachhaltigkeitstransformation zu. Sie bringen in diesen Prozess empirisches und theoretisches Wissen, Methodenkompetenz und Reflexionsfähigkeit als besondere Stärken ein. Hochschulen können in sektorübergreifenden Zusammenhängen denken, um tragfähige Lösungen zum Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln und deren Auswirkungen ethisch zu reflektieren.

Transfer findet eingebettet in die organisatorisch-strukturellen Rahmenbedingungen der Hochschulen und in den drei Handlungsfeldern Lehre, Forschung und Third Mission statt. Dabei ist Nachhaltigkeitstransfer in der Lehre eng mit dem Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) verknüpft, bei dem ein umfassender Kompetenzerwerb der Lernenden für eine Gestaltung nachhaltiger Entwicklungsprozesse im Fokus steht. Nachhaltigkeitstransfer in der Forschung adressiert und bearbeitet aktuelle, komplexe und disziplinübergreifende Problemlagen in Kooperation mit Praxisakteur*innen, wobei die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung konzeptionell und methodisch Orientierung bieten kann, um geeignete Lösungen zu entwickeln, zu testen und zu implementieren. Nachhaltigkeitstransfer in Third Mission fokussiert Kommunikation, Austauschformate, Netzwerkmanagement und Ressourcenbereitstellung und schafft dadurch Rahmenbedingungen und Unterstützungsstrukturen für Nachhaltigkeitstransfer.

Die Nachhaltigkeitsausrichtung wird durch die gemeinsame und explizite Bestimmung der Nachhaltigkeitsziele der Transferaktivität, die konzeptionelle Verankerung der Nachhaltigkeitswirkung, und die kompetenzorientierte Gestaltung der Lernprozesse sowie die prozessbegleitende Reflexion gestärkt.

Nachhaltigkeitstransfer kann unterschiedliche Formen annehmen und ein breites Spektrum abdecken, je nachdem, in welchem Handlungsfeld es angesiedelt ist, welche Themen bearbeitet werden und welche Transferpartner*innen beteiligt sind. Um die Vielfalt der möglichen Interaktionen analytisch erfassbar zu machen, wurden drei Komplexitätsgrade bestimmt. Beim Komplexitätsgrad Angebotsorientierung erfolgt Nachhaltigkeitstransfer einseitig von der Hochschule in die Praxis, es dominieren Technologie- und Wissenstransfer, wobei mit vergleichsweise geringem Aufwand viele Adressaten erreicht werden können. Beim Komplexitätsgrad Austausch gibt es eine wechselseitige Interaktion und Feedback-Schleifen zurück an die Hochschulakteur*innen bei einer mittleren Austauschintensität. Der Komplexitätsgrad Ko-Produktion zeichnet sich durch eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, eine sehr hohe Interaktionsintensität mit einem relativ hohen Ressourceneinsatz und geringer Anzahl an Beteiligten aus. Die Formate, mit denen Nachhaltigkeitstransfer realisiert wird, werden abhängig vom Handlungsfeld, Themen, Akteurinnen, der Zielsetzung und des Komplexitätsgrades ausgewählt.

Der Prozess von Nachhaltigkeitstransfer im Hochschulalltag kann idealtypisch in vier Phasen gegliedert werden: Initiierung, Konzeption, Umsetzung, Ergebnissicherung. In diesen Phasen gibt es jeweils spezifische Aufgaben und Anforderungen. Hinzu kommen zwei Querschnittsaufgaben, die über alle Phasen hinweg geleistet werden müssen, zum einen ein zielgerichtetes Prozessmanagement zum anderen eine systematische Reflexion des Transferprozesses. Je nach Handlungsfeld sind die Zielsetzungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben in den Phasen verschieden.

Für die Handlungsfelder Forschung und Lehre werden die Aufgaben deswegen in diesem Leitfaden spezifisch operationalisiert und in einer Übersichtsmatrix zusammengeführt. Damit können Transferakteur*innen für die einzelnen Phasen kritische Punkte identifizieren und ihre Aktivitäten einordnen. Diese (Selbst-)Einschätzung wird durch eine Checkliste mit Fragen zu allen Phasen unterstützt.

2.2. Potenziale und Grenzen von Nachhaltigkeitstransfer

Der Leitfaden verdeutlicht, dass Nachhaltigkeitstransfer angesichts der enormen Bandbreite an Themen, Akteur*innen, Formaten etc. stark kontextspezifisch ist. Insofern stellt sich die Frage nach der Allgemeingültigkeit der hier angestellten Überlegungen. Es gibt sicherlich kein Patentrezept für Nachhaltigkeitstransfer, das über alle Konstellationen und Ausgangsbedingungen hinweg Gültigkeit beanspruchen könnte, sondern Nachhaltigkeitstransfer ist so vielfältig und offen wie nachhaltige Entwicklung selbst. Umgekehrt lassen sich für nachhaltige Entwicklung Ziele und Leitplanken formulieren, die dann auch für Nachhaltigkeitstransfer gelten können. Nachhaltigkeitstransfer ist also nicht beliebig. Er ist in Lehre und Forschung verankert und kann auf diese Weise die wissenschaftlichen Kompetenzen der Hochschule in der Kooperation mit Praxisakteur*innen fruchtbar machen. Hierbei kann in der Lehre auf BNE und in der Forschung auf transdisziplinäre und transformative Nachhaltigkeitsforschung zurückgegriffen werden. Dadurch können Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Nachhaltigkeitsprobleme geleistet werden – allerdings nicht einseitig von Seiten der Hochschule aus, sondern in der Kooperation von Hochschule und Praxis gemeinsam.

Diesbezüglich zeichnen sich auch Grenzen von Nachhaltigkeitstransfer ab. So hängt der Erfolg maßgeblich von der jeweiligen Konstellation der Akteur*innen und den Rahmenbedingungen ab und lässt sich vorab nur begrenzt planen und steuern. Nicht immer kommt Nachhaltigkeitstransfer zustande, nicht immer lässt sich eine Transferaktivität wie geplant umsetzen. Aus der Darstellung der Komplexitätsgrade wird auch deutlich, dass eine zunehmende Intensität der Interaktion einen erhöhten Zeit- und Ressourcenaufwand erfordert und zugleich die Anzahl der Transferbeteiligten abnimmt. Nicht zuletzt ist Nachhaltigkeitstransfer an vielen Hochschulen in der Regel noch nicht als wichtige Aufgabe etabliert. Methoden und Instrumente für Nachhaltigkeitstransfer sind vielfach noch in der Entwicklung. Ein Schnittstellenmanagement, das die Akteur*innen beim Nachhaltigkeitstransfer organisatorisch unterstützt, ist häufig ausbaufähig. Darüber hinaus können die Anreiz- und Unterstützungssysteme für Nachhaltigkeitstransfer an den Hochschulen noch verstärkt werden. Hierzu kann die Hochschulpolitik einen wesentlichen Beitrag leisten.

Eine besondere Herausforderung stellt die Erfassung und Bilanzierung der Wirkungen von Nachhaltigkeitstransfer dar. Hierbei gilt es, eine Balance zwischen einer qualitativen Abschätzung und pragmatischen, handfesten Kriterien und Indikatoren, die sich mit vertretbarem Aufwand erheben lassen, zu finden. Dabei müssen Vereinfachungen sorgfältig abgewogen werden, damit Wirkung nicht auf das reduziert wird, was sich gut quantifizieren und messen lässt. Eine Wirkungsbilanzierung ist nicht nur eine Absicherung gegen Greenwashing, sondern auch die Voraussetzung für eine Qualitätsverbesserung von Nachhaltigkeitstransfer. Deswegen ist es sinnvoll, den Wirkungsbezug von Beginn an konzeptionell zu verankern. Orientierung können das Modell der Bilanzierung von Third Mission (Henke et al. 2016) oder das Konzept der Wirkungsgrade bieten (vgl. 4.2.2).

2.3.  Fazit

Der Leitfaden zeigt Potenziale und Chancen von Nachhaltigkeitstransfer zum einen für nachhaltige Entwicklung in der Gesellschaft und zum anderen für eine Weiterentwicklung von Hochschulen auf. Gerade im Austausch mit der Praxis, in der gemeinsamen Arbeit auf Augenhöhe, in der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen und Herausforderungen und der Reflexion gemeinsamer Erfahrungen ergeben sich wertvolle Impulse für Hochschulen, die mitten in der Gesellschaft stehen und ihre wissenschaftlichen Stärken einbringen und weiterentwickeln. Folgt man diesem Gedanken, kann man die Frage stellen, ob nachhaltige Entwicklung an Hochschulen und deren Weiterentwicklung ohne Nachhaltigkeitstransfer, d.h. ohne einen aktiven und auch praktisch orientierten Austausch mit Praxisakteur*innen, überhaupt möglich ist (Nölting et al. 2020). Daran schließen sich weitere Fragen an: Auf welche Weise kann der Mehrwert, den Nachhaltigkeitstransfer für Hochschulen (und Gesellschaft) produziert, dauerhaft gesichert werden? Will man die positiven Effekte von Nachhaltigkeitstransfer systematisch nutzen, braucht es eine institutionelle Verankerung von Nachhaltigkeitstransfer im Sinne eines Whole Institution Approaches (Rieckmann & Bormann 2020). Mit einem gesamtinstitutionellen Ansatz kann Nachhaltigkeitstransfer in die Strategien der Hochschulen eingebettet werden. Durch den Aufbau organisatorischer Strukturen sowie die Implementation von Anreiz- und Förderungssysteme durch die Hochschulpolitik können Hochschulakteur*innen bei der Initiierung, Konzeption und Durchführung von Nachhaltigkeitstransfer unterstützt werden.


[1] Im hier vorlegten Leitfaden dominiert die Betrachtungsperspektive der Hochschule, die Perspektive der Praxis im Kontext von Nachhaltigkeitstransfer bedarf noch einer weitergehenden Erforschung.


[1] Im Rahmen der wissenschaftlichen Bearbeitung wurden im Projekt sechs Interviews mit sieben Expert*innen im Zeitraum 04-05/2018 zu den Themen Transfer, Nachhaltigkeitstransfer und Third Mission durchgeführt, transkribiert und ausgewertet. Einzelne Zitat werden zur Illustration im Leitfaden verwendet.

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