HOCH-N:Wie lassen sich ethische Fragen strukturiert diskutieren?

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Wie lassen sich ethische Fragen strukturiert diskutieren?
Zielgruppe
Forschende, Hochschulleitung, Forschungsmanagement, ProfessorIn, Dozent(in)
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Alle Menschen haben mehr oder weniger reflektierte Vorstellungen von moralisch „richtigem“ und „falschem“ Handeln und bewegen sich im Alltag in einem ganzen Geflecht von Normen. Insofern können ethische Fragen lebendige Diskussionen in Gang setzen, in denen sich jede*r gut mit eigenen Erfahrungen und Einschätzungen einbringen kann. Allerdings kann die Fülle verschiedenartiger Beiträge auch Verwirrung stiften, sodass am Ende des Austauschs bloß Ratlosigkeit und Verwirrung oder das Gefühl zurückbleiben, dass „man mal über wichtige Fragen philosophiert“ hat. Daher sollen im Folgenden einige Punkte skizziert werden, um eine ethische Diskussion zu strukturieren, die vorgebrachten Argumente zu ordnen und zu vertiefen.

Visualisierung ethischer Argumentationsstrukturen

Indem die einzelnen Argumente logisch um die zu debattierende Frage angeordnet und zueinander zugeordnet werden, können Strukturen von Gedankengängen sichtbar und somit die Argumentationsstuktur visuell nachvollziehbar gemacht werden.

Als Instrumente eines in diesem Sinne qualifizierten Denkens kann „Visual Reasoning Architecture“[1], also die Sichtbarmachung der Struktur von Gedankengängen und der Art und Weise, wie einzelne Denkschritte darin zusammenspielen bzw. die einzelnen Argumente miteinander verbunden sind, verwendet werden. Darüber hinaus können weitere methodische Ansätze, wie zum Beispiel „Argumentation Space Mapping“, also die systematische Darstellung des gedanklichen Feldes, in dem die einzelnen unterschiedlichen Positionen formuliert werden, verwendet werden. Auch die „Visual Reasoning Language“, in der komplexe Denkprozesse in ihre einzelnen, qualitativ unterschiedlichen Denkschritte zerlegt und dann wieder zu transparenten Gedankengängen zusammengesetzt werden können, kann sich als hilfreich erweisen. Der Vorteil der visuellen Darstellung komplexer Argumentationsgänge besteht zum einen darin, dass so für alle TeilnehmerInnen der Stand der Diskussion sichtbar gemacht wird. Zum anderen ermöglicht eine visuelle Methode intuitives, noch nicht „spruchreifes“ Denken, dessen Bedeutung für ethische Abwägungsprozesse nicht zu unterschätzen ist. Die Aufgabe einer dezidierten Analyse der Argumente ist für die ethische Behandlung von zentraler Bedeutung. Die „Visual Reasoning Architecture“ kann diesen Prozess unterstützen, indem sie die vorgetragene Argumentation transparenter, einprägsamer, überhaupt angemessen diskutierbar und weiter ausbaufähig macht. Mit der „Visual Reasoning Architecture“ lassen sich auch potenzielle Inkonsistenzen der Argumente sowie argumentative Auslassungen und andere Defizite viel besser erkennen als bei klassich-sequentiellem Text. Alle vorgestellten Methodikschritte können auch in der Forschungspraxis an konkreten Fragestellungen eingesetzt und „trainiert“ werden.

Anhand von vier Schritten kann diese Visualisierung unterstützt werden:

Schritt 1: Konkretisierung der ethischen Fragestellung

Zum Einstieg in eine ethische Diskussion empfiehlt sich eine konkrete Fragestellung aus der Praxis, die sich insbesondere aus Dilemmata, Zielkonflikten, als problematisch empfundenen Sachverhalten, Risiken und Krisen ergibt oder darauf zuspitzen lässt.

Schritt 2: Beschreibung der vorfindbaren Normsysteme

Anschließend können die gegenwärtig geltenden Normsysteme beschrieben werden, die für die Fragestellung relevant sind.

  • Wie wird mit dem ethischen Problem gegenwärtig in der Praxis umgegangen?
  • An welchen Stellen zeigt sich, dass das Problem unzulänglich gelöst ist?
  • Existieren verschiedene Lösungsansätze? Inwiefern stehen diese zueinander in Spannung?
  • Wie haben die Normsysteme zu ihrer gegenwärtigen Form gefunden? An welchen Stellen findet aktuell Entwicklung statt? Wie wird nach anderen und neuen Lösungen gesucht?
  • Welche Begriffe sind klärungsbedürftig?

Schritt 3: Freilegung grundlegender Handlungsprinzipien

Nun lässt sich das Fundament begutachten, auf dem die Handlungsregeln beruhen (normative Ethik). Hierbei bietet sich die Philosophiegeschichte als Fundgrube an, um Argumente zu finden und zu vertiefen.

Zu beachten ist hierbei allerdings, dass nicht bloß (theoretisch) überzeugende moralische Appelle an das Gewissen des Einzelnen formuliert werden, die von der Selbstkontrolle des Einzelnen ausgehen. In der Lebenswirklichkeit des (modernen) Menschen kann nicht (allein) auf Selbstkontrolle und freiwillige Bereitschaft zu moralischem Handeln gesetzt werden, sondern es müssen an das eigene Interesse anknüpfende Anreize und institutionelle Sanktionsmechanismen etabliert werden.[2] Die überzeugenden Argumente einer Handlungsethik müssen also in eine Bedingungsethik überführt werden, damit sie in der Realität auch zum Tragen kommen.[3]

  • Welche Interessen und Werte werden von der Fragestellung berührt? Wessen Interessen werden ggf. übersehen, weil sie nicht stark genug vertreten werden?
  • Welche Werte und Interessen stehen sich gegenüber? Können sie austariert werden? Wie?
  • Welche Vorstellung von „Gerechtigkeit“ und „gutem Leben“ liegt den Handlungsregeln zugrunde?
  • Welchen Einfluss hat das ethische Problem auf die gesellschaftliche Stabilität?
  • Handelt es sich um Einzelfälle? Inwiefern kommt dem Problem paradigmatische Bedeutung zu, d. h. inwiefern lässt es sich verallgemeinern?
  • Welche Emotionen werden von der ethischen Frage berührt?
  • Welche Menschenrechte sind betroffen? Ist die Menschenwürde bedroht?
  • Inwiefern werden Menschen instrumentalisiert?
  • Hat die ethische Frage Bedeutung für die Zerstörung/Bewahrung der Umwelt? Welchen Einfluss hat das ethische Problem auf das Wohl zukünftiger Generationen?
  • Welche Rolle spielt Altruismus in der Debatte?
  • Welche Machtstrukturen lassen sich ausmachen?
  • Wie werden Freiheits- und Verantwortungsbereiche abgesteckt?
  • Welche Handlungsmotive liegen zugrunde? Wie verhalten sie sich zu den Handlungsfolgen?

Schritt 4: Zurück in die Praxis

Eine einleuchtende ethische Argumentation setzt sich in der Praxis trotz ihrer Überzeugungskraft keineswegs von allein durch. Beachtung verdient daher abschließend auch die Frage, wie die ethische Reflexion in die Praxis überführt werden kann. Zu beachten sind dabei z. B.:

  • Institutionelle, staatliche, wirtschaftliche usw. Machtstrukturen
  • Gesetzeslage
  • Wirtschaftliche Anreize und Zwänge
  • Kulturelle Bewertungs- und Handlungsmuster
  • Differenzierte Mobilisierungs- und Überzeugungsstrategien für verschiedene Akteure
  • Welche Akteursnetzwerke lassen sich neu bilden, bzw. müssen neu gebildet werden?

Im Rahmen eines Workshops bieten sich auch Rollenspiele an, um das Gespür für die praktischen Umsetzungsschwierigkeiten zu schärfen und kreativ nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

  1. Vgl. Parmenides Foundation (2020) zur Visual Reasoning Architecture, https://www.parmenides-eidos.com/eidos9/us/ (zuletzt abgerufen am 23.12.2020).
  2. Vgl. Lütge, U. / Uhl, M. (2017): Wirtschaftsethik. München: Vahlen, 32-33.
  3. Vgl. Homann, K. (2003): Anreize und Moral. Gesellschaftstheorie – Ethik – Anwendungen. Münster: LIT.
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