Treibhausgasbilanzierung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 29. April 2024, 11:37 Uhr
Bis 2050 wollen die EU und ihre Mitgliedstaaten treibhausgasneutral werden. Neben diesem grundsätzlichen Bekenntnis der klimapolitischen Akteure gibt es eine Vielzahl von Ankündigungen und Initiativen aus Wirtschaft und Verwaltung zur Treibhausgasneutralität. Die Zahl der Unternehmen, die mit treibhausgasneutralen Produkten werben oder innerhalb weniger Jahre treibhausgasneutral werden wollen, wächst rasant. Auch Politik und Verwaltung haben sich auf allen föderalen Ebenen – von der EU über den Bund und die Länder bis hin zu den Städten und Gemeinden – Ziele zur treibhausgasneutralen Verwaltung gesetzt. Auf Bundesebene hat die Bundesregierung das Ziel einer „klimaneutralen Bundesverwaltung bis 2030“ im Bundes-Klimaschutzgesetz (§15 KSG) festgeschrieben und ihm damit Gesetzesrang verliehen. Dies gilt auch für die meisten Bundesländer, welche Initiativen zur treibhausgasneutralen Landesverwaltung verabschiedet haben. Zahlreiche Städte und Gemeinden haben angekündigt, treibhausgasneutral zu werden und entsprechende Ziele für ihre Verwaltungen beschlossen. Insgesamt betrifft das Ziel einer treibhausgasneutralen Verwaltung in Deutschland mehrere tausend Behörden mit über vier Millionen Beschäftigten. Für die betroffenen Verwaltungen, zu denen auch Hochschulen gehören, sind damit viele Fragen und Herausforderungen verknüpft. [1]
Klimaneutralität und Treibhausgasneutralität
Klimaneutralität | Treibhausgasneutralität |
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Anforderungen und Empfehlungen des Umweltbundesamts
Das Umweltbundesamt (UBA) veröffentlichte im November 2020 das Dokument "Der Weg zur treibhausgasneutralen Verwaltung - Etappen und Hilfestellungen" [1]. Darin wird Verwaltungen und vergleichbaren Organisationen eine Orientierung auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität geboten. Auf der Basis von praktischen Erfahrungen in vielen Behörden und fachlichen Erkenntnissen beschreibt die Veröffentlichung neun verschiedenen Etappen zur treibhausgasneutralen Verwaltung und führt praktische Beispiele an.
System- und Bilanzgrenze bestimmen (Etappe 2 des UBA-Leitfadens)
Mit der Systemgrenze entscheidet die Verwaltung darüber, welche Standorte, Bereiche und Organisationseinheiten sie in ihre Initiative zur Treibhausgasneutralität einbezieht. Die Bilanzgrenze gibt an, für welche Klimaschutzaspekte und Aktivitäten die Verwaltung ihre Treibhausgasemissionen ermittelt und bilanziert.
Systemgrenzen
Die Systemgrenze lässt sich grundsätzlich anhand von drei unterschiedlichen Ansätzen bestimmen:
- Nach dem operativen Kontrollansatz bezieht die Verwaltung alle Standorte, Organisationseinheiten und Bereiche ein, die ihrer Entscheidungs- und Weisungshoheit unterliegen. Dieser Ansatz ist vor allem für die klassische Verwaltung mit einer eindeutigen, hierarchischen Linienorganisation sinnvoll. Sie lässt sich auch auf behördenübergreifende Verwaltungsstrukturen anwenden, wie sie innerhalb föderaler Ebenen oder eines Ressorts bestehen, z.B. die Verwaltung einer Kommune, eines Landes oder des Bundes oder alle zu einem Ressort gehörenden (obersten, oberen, mittleren und unteren) Behörden. Die Systemgrenze umfasst dann alle Einrichtungen, für die Beschlüsse und Erlasse der verantwortlichen Stellen bindend sind.
- Der finanzielle Kontrollansatz eignet sich, um Organisationseinheiten, Standorte und Bereiche einzubeziehen, die durch die öffentliche Hand finanziert werden. Neben der „klassischen“ Verwaltung sind dies öffentliche Einrichtungen mit nicht linearen Organisations- und Entscheidungsstrukturen, z.B. Hochschulen mit gleichrangigen Fachbereichen und Instituten oder mit einer hohen Entscheidungsautonomie, z.B.im Kultur-, Bildungs- oder Gesundheitsbereich (Museen, Theater, Schulen und Kindergärten, Krankenhäuser). Darüber hinaus eignet sich dieser Ansatz, um öffentlich finanzierte Unternehmen der Daseinsfürsorge einzubeziehen, z.B. kommunale Unternehmen der Energieversorgung, der Abfallwirtschaft oder des Öffentlichen Nahverkehrs.
- Nach dem Eigentums-/Anteilsansatz kann die Verwaltung auch die in öffentlichem Eigentum befindlichen Unternehmen, Stiftungen und sonstigen Einrichtungen einbeziehen und damit ihre Verantwortung für diese Organisationen deutlich machen. Über die Verwaltungs- und Aufsichtsorgane kann sie direkt auf deren klimarelevante Aktivitäten Einfluss nehmen, sofern sie dort über die Mehrheit verfügt. Auch wenn sie weniger als 50 % der Anteile hält, kann sie einen nicht unerheblichen Einfluss ausüben. [1]
Bilanzgrenzen
Als Leitlinie für die Bilanzierung der Treibhausgasemissionen privater und öffentlicher Organisationen hat sich international das Greenhouse Gas Protocol durchgesetzt, das allgemein akzeptierte Kategorien für die Treibhausgasemissionen enthält, die auch für Verwaltungen sinnvoll verwendet werden können. Danach werden die Emissionen in drei Scopes eingeteilt:
- Scope 1 enthält die direkten Treibhausgasemissionen aus Verbrennungsprozessen in stationären und mobilen Anlagen der Verwaltung wie Heizungsanlagen, Kraftfahrzeuge, Geräten zur Pflege der Außenanlagen und zum Winterdienst sowie Anlagen zur unterbrechungsfreien Stromversorgung. Darüber hinaus fallen darunter Emissionen aus physischen oder chemischen Prozessen, z.B. Leckagen und Diffusionen von Kältemitteln aus Kühlanlagen. Für einzelne Bereiche oder Standorte mit besonderen Aufgaben (z.B. Labore, Werkstätten usw.) können physikalische oder chemische Prozesse relevant sein.
- Scope 2 umfasst die indirekten Treibhausgasemissionen aus dem Bezug leitungsgebundener Energie. Für Verwaltungen sind dies hauptsächlich die mit der Erzeugung und dem Transport von Strom und Fernwärme verbundenen Emissionen. Für einzelne Standorte kann auch Fernkälte (z.B. zur Kühlung von Rechenzentren oder Laboren) relevant sein.
- Scope 3 enthält alle sonstigen indirekten Treibhausgasemissionen aus vor- und nachgelagerten Aktivitäten, die direkt oder indirekt durch die Verwaltung verursacht werden. In vielen Verwaltungen machen die Emissionen nach Scope 3 den größten Anteil an den Gesamtemissionen aus. Dies sind vor allem die Klimawirkungen aus Dienstreisen, die Emissionen aus den Arbeitswegen der Beschäftigten sowie die durch die beschafften Güter und Dienstleistungen verursachten Emissionen. Auch die Emissionen aus Abbau, Aufbereitung, Transport und Verteilung der Emissionen unter Scope 1 und 2 fallen unter Scope 3. Je nach den Aktivitäten und Besonderheiten der einbezogenen Standorte kann die Verwaltung weitere indirekte Emissionen einbeziehen, z.B. aus Transport- und Logistikleistungen, Druck- und Vervielfältigung oder aus dem Abfallaufkommen. [1]
Bilanzierung des Systems (Etappe 3 des UBA-Leitfadens)
Anforderungen an die Treibhausgasbilanzierung
Für die Bilanzierung von Treibhausgasemissionen haben sich international qualitative Anforderungen etabliert, die sich grob an den weithin akzeptierten Grundsätzen aus dem Rechnungswesen orientieren. Die wichtigsten Anforderungen betreffen Transparenz, Relevanz, Vollständigkeit, Konsistenz und Genauigkeit der Treibhausgasbilanz.
Transparenz
Die wesentlichen Grundlagen und das Vorgehen bei der Treibhausgasbilanzierung müssen nachvollziehbar dokumentiert werden. Das ist nicht nur wichtig, um die Bilanzierung später überprüfen lassen zu können, sondern auch um sie methodisch weiterentwickeln und ggf. mit verbesserten Daten anpassen, zurück rechnen und vergleichen zu können. Dabei ist es wichtig, die zugrunde gelegten Daten sowie sämtliche getroffene Annahmen einschließlich der verwendeten Emissionsfaktoren und Umrechnungsfaktoren zu belegen sowie nachträgliche Änderungen an Daten oder Berechnungen kenntlich zu machen.
Relevanz
Die Bilanzierung sollte ein realistisches Bild der gesamten Treibhausgasemissionen der Verwaltung abbilden, auf dessen Basis die Leitung gut fundierte Entscheidungen – z.B. im Hinblick auf Ziele und Maßnahmen – treffen kann und andere Interessengruppen die Emissionen angemessen bewerten können. Das schließt ein, dass alle relevanten Emissionen berücksichtigt werden und nicht außen vor bleiben.
Vollständigkeit
Um die Auswirkungen der Verwaltung auf das Klima vollständig zu erfassen, sollten möglichst alle Emissionen einschließlich der indirekten Emissionen aus vor- und nachgelagerten Stufen berücksichtigt werden. Dies scheitert meist daran, dass einzelne Emissionen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt oder geschätzt werden können. Fehlende Daten sollten durch plausible Schätzungen ersetzt oder nachvollziehbar begründet werden.
Konsistenz
Die Bilanzierung sollte räumlich, sachlich und zeitlich konsistent sein. Räumliche Konsistenz bezieht sich auf die gleichbleibende Abgrenzung der Standorte und Gebäude innerhalb der Bilanz. Sachliche Konsistenz gewährleistet, dass einheitliche Definitionen, Abgrenzungen und Berechnungsmethoden bei der Bilanzierung angewandt werden. Zeitliche Konsistenz stellt sicher, dass die Emissionsbilanz unterschiedlicher Jahre miteinander vergleichbar sind und nicht durch unterschiedliche Systemgrenzen und Standorte verzerrt sind.
Genauigkeit
Auch wenn die Ermittlung der Treibhausgasemissionen immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden ist, sollte die Bilanzierung so genau wie möglich sein. Das stellt hohe Anforderungen an die Datenverfügbarkeit und die Bilanzierungsmethodik im Hinblick auf die Genauigkeit. Systematische Unter- und Überschätzungen sollten möglichst vermieden werden. Das schließt nicht aus, dass im Zweifel methodisch konservative Ansätze für die Bilanzierung herangezogen werden. [1]
THG-Bilanzierung an deutschen Hochschulen
Das eine THG-Bilanzierung an (deutschen) Hochschulen sinnvoll sein kann, zeigen die folgenden Gründe:
- Vorbildfunktion für Studierende und Gesellschaft
- Bildung für nachhaltige Entwicklung: Die Integration von nachhaltigen Praktiken in den Hochschulbetrieb bietet eine Gelegenheit zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, die Studierende darauf vorbereitet, nachhaltiges Denken und Handeln in ihren zukünftigen Berufen zu fördern.[2][3]
- Forschung und Innovation: Hochschulen spielen eine entscheidende Rolle bei der Forschung und Entwicklung von Technologien, die zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen beitragen.
- Wirtschaftliche Vorteile: Nachhaltige Praktiken in Hochschulen können nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile bieten, einschließlich Kosteneinsparungen durch Energieeffizienzmaßnahmen.
- Anpassung an regulatorische Anforderungen: Die Einhaltung von Umweltauflagen und die Anpassung an regulatorische Anforderungen im Bereich Klimaschutz werden für Hochschulen in vielen Ländern immer wichtiger.
- Globale Verantwortung und Ethik: Hochschulen haben eine ethische Verantwortung, zur Lösung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel beizutragen. Eine treibhausgasneutrale Hochschulpolitik trägt dazu bei, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren und die Umweltauswirkungen zu reduzieren.
Beispiele von THG-Bilanzierung an deutschen Hochschulen
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Name der Hochschule | bilanzierte Bereiche | Link |
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Universität Greifswald | Abfall & Wasser, Gebäude, Beschaffung & Dienstleistungen, Mobilität (ohne Pendeln), Strom, Wärme, (Moor-) Grünland, Wälder | Link |
Hochschule Konstanz | Mobilität, Energie Liegenschaften, Bauprojekte, Mensa, relevante Stoffströme, Kompensationen | Link |
Universität Rostock | Gebäude, Abfall, Dienstreisen, Fuhrpark | Link |
Universität Oldenburg | Gasbezug, Fuhrpark, Strombezug, Vorketten, Mobilität, Beschaffung, Abwasser & Wasserbezug | Link |
HBC Hochschule Biberach | Scope 1: Stationäre (Erdgas) und mobile (betriebl. Fuhrpark) Verbrennung, flüchtige Emissionen (Kältemittelverluste)
Scope 2: bezogener Strom Scope 3: Dienstreisen (Flüge), Vorketten stationärer und mobiler Verbrennung, Vorkette bezogener Strom, Pendelmobilität |
Link |
Hochschule Zittau/Görlitz | Infrastruktur, Gebäude & Energieversorgung (Strom, Fernwärme, Heizanlage, Stromgenerator, Dampf); Ressourcen (Beschaffung, Abfall, Wasser); Mobilität (Berufsverkehr, Dienstreisen, Dienstfahrzeuge) | Link |
Universität Hohenheim | Scope 1: Stationäre Verbrennung, Prozessemissionen insb. Versuchsstationen, Fuhrpark, flüchtige Gase
Scope 2: eingekaufte Elektrizität (Strom, Fernwärme, Dampf, Mietobjekte) Scope 3: bezogene Waren und Dienstleistungen, Geschäftsreisen, Vorkette Kraftstoffe zur Energiegewinnung, Arbeitsweg, Investitionsgüter, Betriebsabfälle, gemietete Vermögenswerte, vorgelagerte Logistik |
Link |
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Verbundprojekte der BMBF-Förderlinie Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen
- AlFinaH - Alternative Finanzierungs- und Betreibermodelle für nachhaltige, klimaneutrale Hochschulen
- KlimaPlanReal - Nachhaltige Transformationspfade zur Klimaneutralität mit Planungszellen und Reallaboren
- Klima-N - KLIMA-Netzwerk für mehr Nachhaltigkeit in Thüringen
- REKLINEU – Regionale Wege zu klimaneutralen Hochschulen
Literaturnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021_fb_weg_zur_treibhausgasneutralen_verwaltung_bf.pdf
- ↑ Wiek, A., Withycombe, L. & Redman, C.L. Key competencies in sustainability: a reference framework for academic program development. Sustain Sci 6, 203–218 (2011). https://doi.org/10.1007/s11625-011-0132-6
- ↑ Lozano, R.; Lukman, R.; Lozano, F. J.; Huisingh, D.; Lambrechts, W. (2013). Declarations for sustainability in higher education: becoming better leaders, through addressing the university system. In: Journal of Cleaner Production, Volume 48, S. 10-19. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2011.10.006.